Hier können sie Kinder sein

Emmericher Initiative „Kinder von Tschernobyl“ engagiert sich seit 25 Jahren - rund 670 Kinder waren bereits zu Besuch am Niederrhein

Das Abschiedsfest bereitet den Kindern aus Weißrussland immer viel Freude, obwohl auch ein wenig Wehmut mitschwingt. Foto: privat

EMMERICH. Es ist ein Vortrag, der Ernst Grodowski tief beeindruckt zurücklässt. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Emmericher Initiative „Kinder von Tschernobyl“ ist Zoja Kawaltschuk Ende April zu Gast in der Hansestadt. Hier berichtet die Krankenschwester von der Evakuierung der Sperrzone rund um das Atomkraftwerk Tschernobyl nach der Reaktorkatastrophe am 26. April 1986. Ihre Schilderungen bestärken Grodowski in seinem Engagement als Vorsitzender der Initiative – wie ihm geht es an diesem Abend vielen der anwesenden Vereinsmitglieder und Gastfamilien.

Im Sommer 1993 sind erstmals 35 Kinder aus Weißrussland zu Besuch in Emmerich, damals noch auf Einladung der Klever Initiative. Wenige Monate wird auch auf der rechten Rheinseite eine Initiative gegründet. Im Sommer 1994 sind dann die ersten 26 Kinder unter der Regie der neuen Gruppe hier zu Gast.

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Die Planungen laufen: Ernst Grodowski und Karin Schneider planen bereits den Besuch im kommenden Sommer.
NN-Foto: MB

„Tschernobyl war damals ein Thema, das die ganze Welt bewegte“, erzählt Ernst Grodowski, „denn es war die erste schwere Atomatastrophe.“ Doch erst Anfang der 1990er Jahre, nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, kann die humanitäre Hilfe für die Region – insbesondere für die Schwächsten der Bevölkerung, die Kinder – anlaufen. „Wer damals selbst Kinder hatte, für den waren die Nachrichten und Bilder aus Tschernobyl besonders erschreckend“, erinnert sich Schriftführerin Karin Schneider.

So entschließen sich Bürger aus Emmerich und Rees, einen Beitrag zur Hilfe zu leisten, indem sie Kinder für eine gewisse Zeit zu sich an den Niederrhein einladen. Der Großteil der Mädchen und Jungen, überwiegend im Alter von zehn bis 14 Jahren, kommt bis heute aus Azdamichy, etwa 200 Kilometer vom Atomkraftwerk in der Ukraine entfernt. Hier leben viele Familien als Kleinbauern, das mittlere Einkommen liegt bei etwa 400 Euro im Monat. Ferien sind damit nicht möglich, in der schulfreien Zeit arbeiten die Kinder auf den Feldern und in den Gewächshäusern ihrer Familien.

Doch dank der Initiative haben bis heute rund 670 Kinder die Möglichkeit erhalten, einmal im Jahr für dreieinhalb Wochen zu verreisen. Wie wichtig diese Zeit ist, weiß Ernst Grodowski: „Ein Schulleiter in der Region hat beobachtet, dass die Kinder, die im Sommer nach Deutschland kommen, in den folgenden Monaten deutlich weniger in der Schule fehlen als ihre übrigen Klassenkameraden.“ Und Karin Schneider, die selbst vier Jahre lang zwei Jungen jedes Jahr beherbergte, schildert mit einem Lächeln: „Sie kamen als blasse, weiße Mäuse und fuhren propper, mit Farbe im Gesicht nach Hause.“

Kontakt
Im kommenden Jahr sind vom 7. bis 31. Juli wieder Kinder aus Weißrussland zu Gast am Niederrhein. Dafür sucht die Initiative noch Gastfamilien.
Wer sich engagieren möchte, meldet sich bei Ernst Grodowski (Telefon 02822/68604), Karin Schneider (Telefon 02822/8925) oder Kassierer Siegfried Thedens (Telefon 02851/986126).
Weitere Infos gibt es unter
www.tschernobyl-emmerich.de.

Für die Mädchen und Jungen aus Weißrussland bedeuten die wenigen Wochen im Sommer eine Zeit frei von Strahlenbelastung – diese ist in ihrer Heimat noch immer erhöht –, mit unbelasteten Speisen. „Und sie können in dieser Zeit einfach nur Kinder sein“, betont Schneider. Sportliche Aktivitäten, Zoobesuche und Ausflüge in der Gruppe ergänzen die Stunden in den Gastfamilien – hier werden die anfangs „fremden“ Kinder mit der Zeit selbst zu Familienmitgliedern. Es werden Bande geknüpft, die nicht selten über die Zeit in Deutschland hinausreichen. So werden in der Weihnachtszeit wieder viele Briefe und E-Mails verschickt. Im Februar 2017 sind Ernst Grodowski und seine Frau zur Hochzeit von Maria nach Azdamichy eingeladen – sie war 1997 als Gastkind bei ihnen.

Leider, berichten Grodowski und Schneider, ist die Zahl der Gastfamilien in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Sie hoffen auf die Trendwende und erzählen von positiven Erfahrungen mit ihren jungen Gästen, „sie bringen ganz viel Abwechslung in den Tagesablauf“, sagt der Vorsitzende mit einem Augenzwinkern. Schneider ergänzt: „Ein gewisser Aufwand ist schon damit verbunden, aber das gibt sich relativ schnell, zumal für die Gastfamilien jederzeit Unterstützung und Ansprechpartner zur Verfügung stehen.“ Man erfahre so viel Dankbarkeit dieser ansonsten bescheidenen jungen Menschen. „Und man nimmt so viel an positiven Erlebnissen mit“, versichert sie.

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