Friederike Küsters, Eva Kersting-Rader und Nicola Roth (vL) freuen sich, dass die Ausstellung nun in Goch und später in Weeze gezeigt wird. NN-Foto: CDS

GOCH. Das Gesichtsfeld von Eva Kersting-Rader aus Haldern ist so klein wie ein Schlüsselloch – 1994 führte ein Verkehrsunfall zu diesem schweren Handicap. Gemerkt hatte es bisher aber so gut wie niemand, denn Eva Kers­ting-Rader hat ihre Sehbehinderung lange vor ihrem Umfeld geheim gehalten. Nur der engste Familienkreis und einige Eingeweihte wussten darüber Bescheid.

Quasi öffentlich „geoutet“ hat sie sich erst 2017, als Fotos für die Wanderausstellung „Talente zu entdecken“ des Kompetenzzent­rums Frau und Beruf Nieder­rhein gemacht wurden. Gezeigt wird die Ausstellung ab sofort im Foyer des Gocher Rathauses. Die Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Goch, Friederike Küsters, und der Gemeinde Weeze, Nicola Roth, organisieren die Schau hier vor Ort. Portraitiert werden sechs Frauen mit einer Behinderung, die es auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft haben.

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So wie Eva Kersting-Rader, die als Bestatterin, Kunsttherapeutin und Trauerbegleiterin arbeitet. Die Fotos für die Ausstellung entstanden auf dem Friedhof. Um darzustellen, um welches Handicap es sich bei ihr handelt, waren Blindenstock und Sticker nötig – und das kostete sie zunächst Überwindung: „Da konnte ja jeder mitbekommen, dass ich eine Sehbehinderung habe.“ Doch letztendlich ist Eva Kersting-Rader froh, dass sie mitgemacht hat. Mit dem Ziel der Ausstellung kann sie sich nämlich komplett identifizieren: Zu zeigen, dass jeder Mensch Talente hat, die zu erkennen, zu nutzen und zu fördern sind – so formulieren es die beiden Gleichstellungsbeauftragten: „Es ist eine große Aufgabe der kommunalen Gleichstellungsarbeit, dafür Sensibilität zu schaffen.“

Warum Eva Kersting-Rader so lange geschwiegen hat? „Weil ich gerne arbeiten wollte“, lautet ihre einfache Antwort, „für Menschen mit Behinderung gibt es keinen gesicherten Arbeitsplatz, es sei denn in Werkstätten.“ Das hat dazu geführt, dass sie ihre erste Ausbildung zur Küchenmeisterin mit viel Engagement und allerlei „Tricks“ bewältigt hat. „Die praktische Prüfung musste ich dreimal machen, weil ich mich in den Küchen nicht zurechtfand“, erinnert sie sich. Ihr Glück: Die dritte Prüfung fand in einem Betrieb statt, in dem sie ein Praktikum absolviert hatte. Denn wenn sich Eva Kersting-Rader an einem Ort auskennt, merkt niemand, dass sie kaum etwas sieht.

Später hat sie sich in ihrem Traumberuf als Bestatterin selbstständig gemacht, sich ein Netzwerk und Strukturen erarbeitet, die ihr im Alltag zugute kommen. Ihr eingeschränktes Sehvermögen bietet ihr sogar einen großen beruflichen Vorteil: Sie nimmt Stimmungen und Gefühle der Angehörigen viel intensiver wahr. Nun möchte sie ihre Firma in eine gGmbH umwandeln und sich vor allem um Sozialbestattungen kümmern. Mitglieder und Unterstützer für das Projekt sind herzlich willkommen.

Ihr und den Initiatorinnen der Ausstellung liegt sehr daran, eine öffentliche Wahrnehmung zu schaffen, Arbeitgeber für die Potenziale behinderter Menschen zu sensibilisieren. „Die Zusammenarbeit ist für beide Seiten von Vorteil“, unterstreicht Friederike Küsters. Vorurteile abbauen, Aufklären und Informieren seien hier die wichtigsten Instrumente, so Eva Kersting-Rader. Viele Arbeitgeber wüssten nicht, dass es für behinderte Menschen viele – auch finanzielle – Hilfen gibt, mit denen sie auf dem ers­ten Arbeitsmarkt Fuß fassen können. „Bevor Integration erreicht werden kann, muss noch viel passieren, es ist ein steiniger Weg. Die Diskriminierung ist da und das macht es so schwer“, weiß Eva Kersting-Rader. Dass es anders geht, zeigen die Beispiele in der Ausstellung. So werden außerdem noch Berufstätige aus der Sportbranche, der Medienwirtschaft und der betriebswirtschaftlichen Dienstleistung vorgestellt.

Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen; die ersten drei Portraits werden ab sofort in Goch gezeigt und „wandern“ am 25. August nach Weeze. Am 23. August treffen die anderen drei Portraits aus Kleve, wo sie aktuell noch zu sehen sind, dann in Goch ein. Am 31. August endet die Ausstellung in Goch.

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