„63 Prozent der Monteure waren schein-selbstständig“

Der sogenannte „Schlüsseldienst-Prozess“ hat noch kein Ende gefunden

GELDERN/KLEVE. Seit Januar läuft der Prozess gegen zwei Betreiber eines Unternehmens für Schlüsseldienstleistungen aus Geldern vor dem Klever Landgericht (die NN berichtete mehrfach). Auch am 29. Prozesstag konnte im Verfahren um unter anderem Steuerbetrug in Millionenhöhe und Wucher die Beweisaufnahme nicht geschlossen werden.

Der Prozess im Klever Landgericht geht weiter. NN-Archivfoto: SP

Stattdessen wurde drei Stunden lang ein Steuerfahnder vernommen, der sich seit fünf Jahren mit den Finanzen der „Deutschen-Schlüsseldienst-Zentrale” (DSZ) beschäftigt. Im März 2013 wurde er von der Staatsanwaltschaft Kleve zu einer neu gebildeten Ermittlungskommission hinzugezogen, ehe am 3. August 2016 eine großangelegte Razzia in den Räumlichkeiten der „Deutschen-Schlüsseldienst-Zentrale vollzogen wurde. Diese hatte schlussendlich zur Anklage geführt.

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„Von März 2007 bis zur Razzia hat die DSZ ein Auftragsvolumen von 76,9 Millionen Euro erwirtschaftet”, schilderte der Steuerfahnder dem Gericht. Insgesamt seien 713.000 Aufträge bei der DSZ eingegangen. „Versteuert wurde bei jedem Auftrag nur die Vermittlungsprovision, also etwa 50 bis 60 Prozent des Gesamtvolumens eines jeden Auftrages”, sagte der Steuerfachmann weiter. „Den Rest mussten die Monteure als Selbstständige selbst abführen.” Die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass diese Monteure nur zum Schein selbstständig waren und daher die Angeklagten den kompletten Auftrag hätten versteuern müssen. Laut Anklage haben die Beschuldigten durch ihr Vorgehen 5,8 Millionen Euro an Umsatzsteuer hinterzogen.

Die insgesamt fünf Verteidiger der beiden Angeklagten sehen allerdings keine Straftat, die ihren Mandanten vorgeworfen werden kann, da die Monteure selbstständig – und damit selbstverantwortlich für ihre Abgaben gewesen seien – und die DSZ ihren Teil der Steuern bezahlt habe. Dem Staat sei damit kein Nachteil entstanden.

Um die Frage der Schein-Selbstständigkeit erörtern zu können, hat sich der Steuerfahnder auch mit den Monteuren beschäftigt. Insgesamt 896 Monteure seien gelistet gewesen. „Aber davon waren auch einige doppelt aufgeführt”, sagte der Zeuge. Ihm wurden letztendlich von der Deutschen Rentenversicherung und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit 252 Monteure zur Überprüfung vorgelegt worden. „Knapp hundert Monteure hatten einen weitaus höheren Umsatz angegeben, als sie bei der DSZ verdient haben. Damit waren sie wohl selbstständig”, erklärte der Steuerfachmann, „bei den anderen 152 Monteuren – also knapp 63 Prozent – stimmte ihr zu versteuernder Umsatz aber mehr oder weniger mit dem Umsatz aus den DSZ-Aufträgen überein. Es ist also davon auszugehen, dass sie schein-selbstständig waren”, fuhr der Zeuge weiter fort.

Wie die Wirtschaftskammer des Klever Landgerichtes den Fall wertet, bleibt noch abzuwarten. Der Vorsitzende Richter Henkel lehnte am 29. Prozesstag allerdings unter anderem Anträge der Verteidigung zur Beauftragung neuer Sachverständiger ab. Ob noch weitere Monteure als Zeugen angehört werden, ist noch unklar. Die Verteidigung des 57-jährigen Angeklagten möchte mit diesen Aussagen beweisen, dass ihr Mandant nicht – wie von anderen Zeugen oftmals behauptet – der inoffizielle Chef der „Deutschen-Schlüsseldienst-Zentrale” gewesen sei, sondern der 39-Jährige Mit-Angeklagte. Er wurde auch auf dem Papier als Geschäftsführer geführt.

Der Prozess wird weiter fortgesetzt.

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