NIEDERRHEIN. Da sitzt er, trinkt einen Schluck Mineralwasser und lacht – das blühende Leben. Andreas Wesseling ist 55 Jahre alt. Am 28. September feiert er Geburtstag – den ersten. „Ohne die Transplantation wäre ich nicht mehr hier”, sagt Wesseling und mit ‚hier‘ meint er keinen geografischen Ort – er meint das Leben. Wesseling ist ein Tranplantierter. Am 28. September haben sie ihm in Bad Oeynhausen ein neues Herz eingesetzt. Die Rettung.

Wer Wesseling erlebt, mag das kaum glauben. Da sitzt ein Hans im Glück – ein Strahlemann, dem zum vollkommenen Glück nur eines fehlt: „Ich möchte wieder arbeiten können”, sagt er. Wesseling hatte eine eigene Firma: Versiegelungstechnik. Jetzt ruht das Business, bis er die „Freigabe” erhält.

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Wesseling versteht seine Rettung nicht nur als Glück sondern vor allem auch als Verantwortung. „Es ist mir wichtig, am Tag der Organspende etwas zu tun”, sagt er und meint natürlich nicht nur diesen einen Tag. „Das wäre zu wenig.” Wesseling und seine Frau sind ständig in Sachen Spenderausweis „unterwegs”. „In unserem Bekanntenkreis haben mittlerweile fast alle einen Organspendeausweis”, sagt Marion Wesseling und strahlt. Und sie sagt auch: „Ich habe mir nicht vorzustellen gewagt, dass es Andreas irgendwann wieder so gut geht.” Andreas und sie haben einen Brief geschrieben. „An die Angehörigen meines Herzspenders”, lautet die Überschrift: „Ich kann mich leider nicht persönlich bei meinem Spender bedanken, aber ich habe das starke Bedürfnis, es zu tun. Wer auch immer es war, der dieser Spende zugestimmt hat – euch allen Danke! Ich war dem Tod sehr nah. […] Ich hätte nicht mehr lange durchgehalten. […] Am 28. September 2017 wurde mein Leben gerettet. Ich habe ein neues Herz geschenkt bekommen. Ich verspreche, dass ich es sehr gut hüten und pflegen werde. […]Ich bin mir stets bewusst, dass mein Glücksmoment gleichzeitig der Moment war, wo eine andere Familie in tiefer Trauer war. […] Schmerz und Trauer kann ich Ihnen leider nicht nehmen, aber ich hoffe, dass Sie Ihre Entscheidung nicht bereuen. Aus der Ferne wünsche ich Ihnen von Herzen alles Gute. Großen Dank und Anerkennung. Viele liebe Grüße.” Wesseling wird niemals erfahren, wessen Herz in ihm weiterschlägt. Das ändert nichts an der Dankbarkeit. „Jeden Tag, wenn ich morgens in den Spiegel schaue, denke ich daran”, sagt er und seine Miene sagt: Das ist kein hohler Spruch. Eines steht fest: Jemand, der Wesseling trifft und seine Geschichte nicht kennt, käme nie auf den Gedanken, dass da einer im zweiten Leben unterwegs ist. Der Mann hält sich fit, treibt Sport, fährt mit dem Rad – auch ein Teil der Verantwortung („Ich verspreche, dass ich es sehr gut hüten und pflegen werde”). Und immer wieder rührt er die Werbetrommel. Er und Marion sind sich einig: „Organspende muss populärer werden.”

Auf der Internetseite www.organspende-info.de heißt es: „Die positive Einstellung zum Thema Organ- und Gewebespende ist in Deutschland derzeit mit 84 Prozent so hoch wie nie zuvor.” Die nächste Information: „ Auch besitzen immer mehr Menschen einen Organspendeausweis: Waren es 2012 noch 22 Prozent, sind es im Jahr 2018 bereits 36 Prozent.” Zustimmung, ließe sich interpretieren, ist etwas anderes als die Unterschrift auf einem Spenderausweis. „Entscheidend für die Organ- und Gewebespende ist nicht wie alt eine Person ist, sondern ihr allgemeiner Gesundheitszustand und der Zustand der Organe, also das biologische Alter.” Das bestätigt Dr. Felix Paul. Er behandelt Wesseling. Was ihn an Wesseling besonders beeindruckt, ist dessen positive Grundhaltung. „Eine Transplantation – gerade wenn es um das Herz geht – kann einen Menschen auch traumatisieren. Da ist es sehr förderlich, wenn ein Patient Rückhalt hat – sei es durch den Partner, sei es durch die Familie, sei es durch das soziale Gefüge. Bei Herrn Wesseling trifft all das zu. Ich habe den noch nie traurig gesehen.” Zurück zu den Informationen: Generell gilt, dass sich bei jüngeren Verstorbenen mehr Organe zur Transplantation eignen als bei älteren. „Doch auch die funktionstüchtige Niere eines mit über 70 Jahren verstorbenen Menschen kann einem Menschen wieder ein fast normales Leben schenken”, heißt es auf www.organspende-info.de.

Gespendet werden können übrigens nicht nur Organe (Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm), sondern auch Gewebe (Augenhornhaut, Blutgefäße, Haut, Herzklappen, Sehnen und Bänder, Knochen sowie Eihaut der Fruchtblase. Übrigens können einige Organe und Gewebe auch von noch lebenden Menschen entnommen und auf Patienten übertragen werden (Nierenlebendspende, Leberlebendspende). Felix Paul: „Heutzutage ist die Medizin so weit, dass wir tranplanierten Menschen nach dem Eingriff Lebensqualität bieten können. Das hat nicht zuletzt mit den Möglichkeiten der Medikation zu tun. Ich wähle gern das Beispiel von einem Schloss: Wenn Sie ein ganz simples Schloss haben, braucht es nicht viel Werkzeug, es zu öffnen. Aber wenn wir von einem hochkomplexen Schloss sprechen, liegen andere Bedingungen vor. Ein geeignetes Spendenorgan zu finden war früher aufgrund der nicht so ausgereiften Möglichkeiten viel schwieriger. Heute lässt sich das besser regulieren. Um also im Bild zu bleiben: Wenn das Werkzeug nicht komplett an das Schloss angepasst werden kann, haben wir die Möglichkeit, das medikamentös in einem gewissen Umfang zu regulieren.” Ohnehin, so Paul, würde die Bedeutung der Labormedizin im Zusammenhang mit der Transplantation nicht angemessen gewürdigt. „Natürlich kennt jeder Christian Barnard. Aber wer kennt denn den Namen des Laborchefs dieser ersten Herztransplantation?” Professor Stefan Schuster war bis 2017 Chefarzt der Kardiologie in Kleve. Er bedauert, dass der Ruf der Organspende nicht der beste ist.

Das Image der Organspende, so Schuster, müsse besser werden. „Dazu gehört vor allem auch, dass die Arbeit der beteiligten Institutionen transparent dargestellt wird.” Eine Grundangst in Bezug auf die Organspende sei, dass Menschen Angst hätten, ihnen würden Organe entnommen, obwohl sie nicht tot seien. „Die Anforderungen im Vorfeld einer Spende sind enorm hoch.” Hat jemand wie er einen Spenderausweis? „Ja, habe ich. Aber was viel wichtiger ist: Die Angehörigen müssen darüber informiert sein. Wenn mir etwas passieren sollte, weiß meine Frau, was zu tun ist, denn wir haben oft genug darüber gesprochen. Am Ende sind es die Angehörigen, ohne deren Zustimmung nichts möglich ist. Stellen Sie sich vor, jemand hat einen Spenderausweis und hat ihn nicht dabei. Da ist es immens wichtig, dass die Angehörigen informiert sind.”

In Deutschland gilt, im Gegensatz zu beispielsweise Holland oder Österreich, die gesetzliche Regelung, dass ein potenzieller Spender der Spende ausdrücklich zustimmen muss. Bei der Widerspruchslösung muss der Organentnahme ausdrücklich widersprochen werden. Schuster: „Es muss darum gehen, Organspende im Bewusstsein der Bürger positiv zu verankern.” Fest steht, dass die Zahl benötigter Organspenden in keinem Verhältnis zur Zahl der Spender steht. Spendeausweise kann man sich beispielsweise auf der Intenerseite www.organspende-info.de herunterladen oder beim Hausarzt und in der Apotheke nachfragen.

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