Der „Giftanschlag“ und seine harten Folgen für Salisbury

John Glen schreibt über die Situation in Xantens britischer Partnerstadt

XANTEN. Seit zwölf Jahren pflegen Xanten und Salisbury eine Städtepartnerschaft. Zur offiziellen Zeremonie am 23. April 2006 reisten 45 Xantener in die südwestenglische Stadt. Seit sechs Wochen steht Salisbury nun im Fokus eines internationalen Politskandals: Am 4. März wurden der russische Ex-Spion Sergei Skripal und seine Tochter Julia in Salisbury zu Opfern eines Giftanschlags. John Glen, Abgeordneter des Wahlkreises Salisbury, schreibt in den Niederrhein Nachrichten, was sich seither in Xantens Partnerstadt verändert hat.

John Glen, Parlamentsabgeordneter für Salisbury, schreibt exklusiv in den
Foto: Chris McAndrew

„Der 4. März war ein ruhiger Sonntag in Salisbury, und nachdem es stark geschneit hatte, waren weniger Menschen unterwegs als sonst. Sergej und Julia Skripal trotzten der Kälte. Sie tranken etwas in einem Pub und aßen in einem italienischen Restaurant zu Mittag. Kurz darauf sah jemand, wie sie auf einer Bank in der Innenstadt das Bewusstsein verloren, als ein chemischer Kampfstoff seine Wirkung entfaltete. Der Polizeibeamte Nick Bailey, der erste Hilfe leistete, wurde das dritte Opfer.
Die Skripals mussten von Spezialisten im Krankenhaus behandelt werden, nachdem ihr Zustand kritisch geworden war. Kriminalkommissar Bailey konnte vor Kurzem entlassen werden.
Der Anschlag hat weltweite Aufmerksamkeit erregt, aber wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass das Zentrum des Geschehens Salisbury war, eine friedliche Domstadt, umgeben von Flusslandschaften und typisch englischen Dörfern. Salisbury ist eine schöne Stadt, wie die großen Zahlen von Touristen belegen, die aus aller Welt anreisen, um die mittelalterlichen Straßenzüge und die eindrucksvolle Kathedrale zu sehen. Sie kommen zu uns, um die ehrwürdige Anlage in Stonehenge zu besuchen, sich ein Exemplar der Magna Charta anzuschauen und eine Stadt zu erkunden, in der Charles-Dickens-Romane spielen und Jane-Austen-Filme gedreht wurden.
Salisbury ist eine alte Stadt, die vom Tourismus lebt, der in ihrer Geschichte begründet ist. Aber sie hat in 800 Jahren sicher nie so viel internationale Beachtung gefunden wie in den letzten Wochen. Wenn ich an Salisbury denke, dann denke ich an unsere dynamische Gemeinschaft mit ihrem ausgeprägten Bürgersinn. Deshalb stimmt es mich traurig, dass manche es jetzt mit Bildern von Polizeiabsperrungen und Schutzanzügen verbinden. Der Anschlag war schockierend und rücksichtslos, aber wir müssen uns klarmachen, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können. Nervengifte sind keine Präzisionswaffen, wie Kriminalkommissar Bailey erfahren musste.
Unmittelbar nach dem Angriff wurde meine Stadt auch selbst zu einem Opfer dieses Anschlags. Als die Medienberichte über den Einsatz einer verbotenen Chemiewaffe, ausgerechnet in Salisbury, um die Welt gingen, blieben die Touristen unserem Stadtzentrum fern. Die Besucherzahlen brachen ein, und die vielen schönen Läden und Lokale in unmittelbarer Nähe der Polizeiabsperrung erlitten über Nacht Umsatzrückgänge von über 90 Prozent.
Aber die Stadt Salisbury und ihre Bewohner lassen sich nicht unterkriegen. Der beispielhafte Einsatz der Rettungsdienste hat das Seine dazu beigetragen, dass die Stadt jetzt langsam, aber sicher wieder auf die Beine kommt.
Bei den detaillierten, systematischen Ermittlungen zu den Umständen dieses Anschlags waren zeitweise rund 250 Polizeibeamte rund um die Uhr im Einsatz, und die Ermittlungen gehen weiter, bis auch dem letzten Hinweis nachgegangen wurde. Anders als der Kreml wollen wir nämlich nicht mit Unwahrheiten und Andeutungen argumentieren.
Allmählich kommen die Gäste zurück in unsere Pubs und Restaurants. Auf unseren Straßen herrscht wieder lebhaftes Treiben. Die Welle der Ausweisung russischer Diplomaten hat Präsident Putin gezeigt, dass die Welt sich für ihre Sicherheit und ihre Werte starkmacht – und auch in Salisbury stehen die Menschen zusammen, um unsere Lebensweise zu verteidigen.
Ihr würdevolles und anständiges Verhalten sind die beste Antwort auf Aggression und Zynismus. Es macht mich stolz, wenn auswärtige Polizeibeamte, die in Salisbury im Einsatz sind, von der warmherzigen Aufnahme durch die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt und von den vielen kleinen freundschaftlichen Gesten berichten, die sie bei ihrer wichtigen Arbeit hier täglich erleben.
Großbritannien hat eine beispiellose Solidarität seitens der NATO-Mitglieder und unserer Verbündeten in der ganzen Welt erfahren. Mehr als 25 Nationen haben über 150 russische Diplomaten ausgewiesen und Präsident Putins Auslandskapazitäten einen schweren Schlag zugefügt.
Und da Salisbury sich von seiner besten Seite zeigt, hoffe ich, dass die Solidarität auch für unsere Stadt gilt und die Touristen wieder in Strömen kommen, um diese reizvolle Gegend Englands zu entdecken. Wir mögen hier zwar nicht für Kaiserwetter berühmt sein, aber wenn jetzt der Sommer kommt, steht Salisbury bereit, das Beste zu bieten, was Großbritannien ausmacht: vom Pimms in einem sonnigen Gartenlokal bis hin zu Wanderungen bei Wind und Wetter.
Ganz besonders würde es mich freuen, wenn sich auch russische Gäste die Zeit nehmen würden, unsere Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten zu besuchen und unsere Gastlichkeit zu genießen. Mit der russischen Bevölkerung hatten wir nie ein Problem, nur mit dem Kreml. Und Präsident Putin kann jetzt einmal erleben, aus was für einem Holz die Bürgerinenn und Bürger von Salisbury geschnitzt sind”

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