KRANENBURG. Auf dem Tisch ein Buch. Es steht aufgeklappt da – und spricht. Ein sich selber vorlesendes Buch? Von wegen. Der da liest, hat sich ins Buch gegraben. Lesekönig, die Zweite.
Zusammen mit der Sparkasse Rhein-Maas und der Buchhandlung Hintzen ermitteln die Niederrhein Nachrichten auch in diesem Jahr die Lesekönige, und das geht so: Die Schüler erhalten Bücher, die Kinder lesen sie – manche lesen nur eines, andere zwei und nicht wenige sogar fünf. Danach melden sich die Schüler, wenn sie möchten, zum quasi klasseninternen Vorlesen. Wer es durch diese Runde schafft, sitzt am Ende einer Jury gegebenüber und liest bis zu sechs Minuten aus dem Buch seiner Wahl vor. Im Hintergrund ein Banner. Darauf zu sehen ist der Schriftzug „Lesekönig“ – darüber eine Krone, die irgendwie ein bisschen an das HB-Männchen von anno dunnemals erinnert: Wer wird denn gleich in die Luft gehen?
St. Georg Grundschule Nütterden – der Musiksaal ist gut gefüllt. Angetreten sind die 3a und die 3b – insgesamt über 50 Schülerinnen und Schüler. Sechs aus jeder Klasse haben sich in die Vorrunde getraut – aus den zwölfen sind jetzt sechs geworden, die in der Endrunde um die Urkunden „kämpfen“. Gekämpft wird mit Sprache – gelesener Sprache.

Glückliche Sieger – zufriedene Juroren: Thomas Janßen, Geschäftsstellenleiter der Sparkasse in Kranenburg, Fabrice Wichard und Alva Mecking (3. Platz), Giuliano Al Haddad (2. Platz), Siegerin Charlotte Büchsenschütz-Nothdurft und Sigrun Hintzen (v.l.n.r.) NN-Foto: HF
Glückliche Sieger – zufriedene Juroren: Thomas Janßen, Geschäftsstellenleiter der Sparkasse in Kranenburg, Fabrice Wichard und Alva Mecking (3. Platz), Giuliano Al Haddad (2. Platz), Siegerin Charlotte Büchsenschütz-Nothdurft und Sigrun Hintzen (v.l.n.r.)
NN-Foto: HF

Man möchte nicht Juror sein, aber man ist es. Wie wär‘s denn mit sechs ersten Preisen? Allen, die zum Vorlesen angetreten sind, merkt man an, dass sie gewinnen wollen. Der Weg zur „Bühne“ – kein Sichhinzögern auf den heißen Stuhl – allen steht eher das „jetzt geht‘s lohos!“ ins Gesicht geschrieben.
Lesen kennt verschiedene Aggregatszustände. Zu nennen wären: Das ganz private Lesen am Lieblingsplatz, ganz in Ruhe und bei  eingeschaltetem Kopfkino. Die Geschichte findet irgendwie innen statt. Manche lesen mit einer inneren Stimme, andere hangeln sich an den Buchstaben entlang. Das Wunder des Lesens ist ja, dass aus Zeichen Welten werden. Man kann sich das klarmachen, wenn man kyrillische oder chinesische Buchstaben anschaut – solche also, die man in der Regel nicht kennt. Das in diesen Zeichen die Welt steckt, ist das Große an der Literatur. Literatur fängt mit kleinen Geschichten an. Und wer einmal angefixt ist, dem ist meist nicht mehr zu helfen. Der zweite Aggregatszustand ist das Vorlesen. Das Kino im eigenen Kopf wird zur Inszenierung für die Zuhörer. Eben das spielt sich ab.
Die Kandidaten: Giuliano Al Haddad, Alva Mecking, Mika Janssen, Fabrice Wichard, Jana Vervoorst und Charlotte Büchsenschütz-Nothdurft. Sie alle schaffen das kleine Wunder, ihre Zuhörer in die Geschichten mitzunehmen. Auf dem Bewertungsbogen für die Juroren der Hinweis: „Bewertet wird gutes Vorlesen, nicht Schauspielerei. Versprecher werden nicht bewertet. Natürlich gehört zum Vorlesen Nach- und  Miterleben – natürlich kann man nicht einfach dasitzen und Text abliefern, aber das tut niemand hier. Die Kandidaten liefern eine optimale Vorstellung ab.
[quote_box_left]Wettbewerb
Teilnehmer: St.-Georg-Grundschule Nütterden, Geschwister-Devries-Schule Uedem, Josef-Lörks-Grundschule Kalkar, Heinrich-Eger-Schule Appeldorn, St.-Luthard-Schule Wissel, St.-Markus-Schule Bedburg-Hau, St.-Markus-Schule Hasselt, Katholische Grundschule St. Antonius Bedburg-Hau, Christophorus-Schule Kranenburg.
Ablauf: Zusätzlich zu den Vorlesewettbewerben gibt es noch Quizrunden in den Sparkassen-Filialen vor Ort. Die Abschlussveranstaltung ist am Montag, 3. April, in der Hauptgeschäftsstelle der Sparkasse Rhein-Maas in Kleve.[/quote_box_left]Trotzdem gibt es Nuancen – Winzigkeiten. Gut unterwegs sind sie alle – hoch konzentriert und so bei der Sache, dass selbst der Pausengong einfach im Nebenbei versickert. Kein Wunder, dass am Ende Sigrun Hintzen mit vier Urkunden zur Preisverleihung antritt.
„Habt ihr eine Idee, warum ich vier Urkunden in der Hand habe, wenn es doch nur drei Preise gibt?“ Jetzt fliegen Hände hoch. „Wahrscheinlich ist ein Platz doppelt belegt“, sagt ein Mädchen, und natürlich ist das die richtige Antwort. Zwei dritte Plätze. „Das war denkbar knapp, weil ihr alle so toll gelesen habt“, sagt Sigrun Hintzen. Dann die Oscars – pardon: die Lesekönige. Auf Rang drei Alva Mecking und Fabrice Wichard, auf dem zweiten Platz Giuliano Al Haddad und – quasi oben auf dem Treppchen: Charlotte Büchsenschütz-Nothdurft. Das Publikum scheint die Juryentscheidung nicht in Frage zu stellen. Tosender Applaus für die Siegerin.
Zeit für das, was vielleicht niemand hören will, weil es so platt daherkommt: Gewonnen haben sie alle – nicht nur die zwölf aus der Vorrunde und die sechs aus dem Finale. Wer ein Buch liest und sich auf die Reise in die eigene Phantasie macht, gehört immer zu den Gewinnern. Der Gewinn: Eine Welt, die einem niemand nehmen kann. Zurück bleiben lauter ungekrönte Häupter.

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