„Ich will endlich kämpfen“

Zwei Jahre aus dem Leben eines jungen Soldaten im zweiten Weltkrieg, festgehalten in einem Tagebuch

RHEINBERG.  „Ich denke viel an Renate und über unsere Zukunft nach. Verloben will ich mich im Moment noch nicht, das ist noch Zukunftsmusik, aber liebliche.“ Der 20-jährige Johannes Wind­huis schrieb diese Zeilen  im Dezember 1942 in sein Tagebuch. Einen Monat später war er tot – gefallen in Russland.

Paul Eichhorn mit den Erinnerungen an seinen Urgroßonkel Johann Windhuis, der mit 20 Jahren im 2. Weltkrieg gefallen ist. Die letzten Jahre seines Lebens hat er in einem Tagebuch festgehalten . NN-Foto: I. M.
Paul Eichhorn mit den Erinnerungen an seinen Urgroßonkel Johann Windhuis, der mit 20 Jahren im 2. Weltkrieg gefallen ist. Die letzten Jahre seines Lebens hat er in einem Tagebuch festgehalten . NN-Foto: I. M.

Zwei Jahre lang hat der aus Moers-Meerbeck stammende junge Soldat Tagebuch geführt. Nach seinem Tod wurde seiner Familie das Tagebuch zugesandt. Es fand seinem Platz in einer Kiste, die inzwischen in den Besitz von Katharina Tappe, geborene Windhuis, übergegangen ist. Doch lesen konnte die Rheinbergerin nicht, was ihr Onkel da zwei Jahre lang notiert hatte, denn er hatte die Sütterlin-Schrift benutzt.
Und so lag die Kladde ungelesen in der Kiste – zusammen mit weiteren Dokumenten: der durchgestrichene Wehrpass mit dem Vermerk „gefallen 21.1.43“, das Foto des jungen Abiturienten, die dürre Mitteilung an die Eltern, dass ihr Sohn im   „heldenhaften Kampf für das Vaterland“ gefallen sei und die Todesanzeige mit dem Foto des jungen Mannes in Uniform.
Als sich jetzt dessen Urgroßneffe Paul Eichhorn im Rahmen des Drehtürmodells an der Europaschule Rheinberg für das Projekt-Thema „2. Weltkrieg“ entschieden hatte, fiel Oma Tappe die Kiste wieder ein. Vor allem das Tagebuch interessierte Paul, er hoffte, darin wichtige Aussagen für sein Projekt finden zu können. Aber er kannte niemanden, der die veraltete Schrift entziffern konnte. Durch Zufall erfuhr die Familie dann von einer pensionierten, über 90-jährigen Lehrerin, die Sütterlin lesen kann. Man nahm Kontakt auf und sofort war die alte Dame begeistert von der Aufgabe und übersetzte in vier Wochen Wort für Wort das Kriegstagebuch.
„Als ich das gelesen habe, kam mir das alles so merkwürdig vor, man kann sich das einfach nicht vorstellen“ fasst Paul seine Eindrücke nach der Lektüre zusammen. Doch was er vielleicht erwartet hatte, nämlich Schilderungen von Kampfhandlungen oder vielleicht von der Angst der Soldaten, an die Front zu kommen oder von Zweifeln an dem, was von diesen jungen Menschen verlangt wurde – nichts davon ist in den Aufzeichnungen zu finden.
Ganz im Gegenteil: Johann Windhuis kommt zunächst nach Paris und dann nach Reims, dort wird er Rekrutenausbilder. Aus heutiger Sicht ein glücklicher Umstand, denn so blieb ihm zunächst das Kampfgeschehen an der Front erspart. Doch genau das wollte der junge Mann: endlich kämpfen. An einer Stelle beklagt er sich: „Mein alter Klassenkamerad Karl-Heinz ist schon Gefreiter, hat das E.K.II und das Infantriesturmabzeichen. Und was mache ich? Ich bilde aus. Da muss man sich eben mit abfinden. Aber ich will ja nicht Offizier in einem Ausbildungsregiment werden. Und wenn ich hier erst einmal Offizier bin, dann komme ich nicht so schnell zu einer anderen Einheit.“
Zwei Jahre lang notiert Windhuis Tag für Tag die Eintönigkeit seines Dienstes, spricht von Kartoffeln schälen, Langeweile, von Sturheit, von unsinnigen Lehrgängen. Und davon, dass es doch endlich anders werden möge.
Es ist ein erschütterndes Dokument, das aufzeigt, wie unbedarft und blauäugig dieser junge Mann sich wünscht, endlich „richtig“ in den Krieg ziehen zu dürfen – und scheinbar überhaupt keine Vorstellungen von dessen Schrecknissen hat. Und gleichzeitig von seiner Zukunft spricht, als ob es dazwischen nichts gäbe, was diese Zukunft eventuell verhindern könnte.
Auch Paul ist erstaunt, Sätze zu lesen wie: „Die meiste Zeit schlafe ich. Wenn wir nur erst hier weg wären, hier kann man bei voller Kost und Verpflegung eingehen. Bloß hier raus!“ Der Wunsch seines Urgroßonkels wurde erfüllt: Die Kompanie wurde nach Russ­land verlegt – endlich! Am 27.12.1942 schreibt er: „Die Weihnachtsfeier in Ebrowka war schön.“ Es ist der letzte Satz, den Johannes Windhuis in seinem jungen Leben geschrieben hat.

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