Schrott und Schulden

Zwölf Geldautomaten gesprengt: Zwölf Mal ohne Erfolg. Dumm gelaufen.

KLEVE. Eigentlich war die Sache anders geplant. Die Angeklagten wollten Geld abheben. Stattdessen haben sie Schulden gemacht.

Sie sind Erfolglose auf der ganzen Linie. Das Abheben des Geldes war – genau genommen – eher ein Absprengen. Der Staatsanwalt spricht vom Freisetzen von Kernenergie, aber es geht nicht um Radioaktivität. Es geht um das Sprengen von Geldautomaten. Gibt es ein Rezept? Ja. Auch Anleitungen gibt es. „Wir haben uns auf Youtube ein Video angesehen und dann dachten wir: Das machen wir jetzt auch.“ Und wie geht‘s? Zunächst wird die Kamera am Automaten mit schwarzer Farbe zugesprüht. Zuschauer unerwünscht. Danach wird der Automat angebohrt, um durch das Bohrloch Gas ins Innere zu leiten, das dann zur Explosion gebracht wird. Das Problem: Ist die Explosion zu „harmlos“, bleibt der Tresor verschlossen – wird zu viel Kernenergie freigesetzt, kann es sein, dass das Geld gleich mit verbrennt.

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Zwölf Fälle sind angeklagt. Die Explosionen sind zum Teil gelungen – ans Geld sind die beiden Angeklagten allerdings nie gekommen. Stattdessen: Schrott und Schulden. 5.070 Euro Sachschaden in Kranenburg, 2.450 Euro in Bedburg-Hau. Fast schon Kleinigkeiten. Aber dann: Circa 100.000 Euro Sachschaden in Kleve. 142.500 Euro in Kevelaer, 200.000 Euro in Goch. In Kalkar – Glück muss man haben – 1.250 Euro Sachschaden. Danach: 33.230 Euro,  102.000 Euro und 111.460 Euro. Eine schöne Stange Geld, wenn man nichts erreicht hat. Die beiden Angeklagten: Ein Holländer, ein Deutscher. Der Deutsche: An allen Taten beteiligt. Für den Holländer stehen drei Taten zu Buch. Der Deutsche möchte keinerlei Angaben machen – „nicht zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls“. Der Holländer sagt aus. Er war Sportler. „Fast schon Profi.“ Auf der Anklagebank sitzt einer, dem man den Gewichtheber zutraut – nichts Filigranes jedenfalls. Er war mit Judo unterwegs. „Weltweit“, sagt er – sagt seine Dolmetscherin. Er war holländischer Meister, Europameister.
Dann: Ende der Karriere. Verletzt. Keine Motivation mehr. Jobs als Türsteher und ehrenamtlicher Trainer bei einem Judo-Verein in Emmerich. Selbstständig als Kurierfahrer. Irgendwann fragt ihn der Mitangeklagte – die beiden gehen zusammen zum Angeln –, ob er bei etwas mitmachen möchte. Zwei Tage vor der ersten seiner drei Taten ist das. Es wird irgendwie milchig – unklar. Ein Gespräch im Auto: Der Mittäter kommt gleich zur Sache. Es geht um eine Automatensprengung. Okay, denkt man, wenn einer mit Automatensprengen zu Geld kommen möchte, fällt er halt mit der Tür ins Haus. Es gab zwei weitere Mittäter. Sie sind nicht anwesend. Einer sitzt bereits in Haft, der andere: Auf freiem Fuß. Die Strafe verbüßt. Er war an einer der zwölf Taten beteiligt – es war die Premiere.

Gab es Gründe für die Tat? „Der J. hatte gebaut und ich wollte bauen“, sagt der Einmaltäter. (Andere schließen Bausparverträge ab, denkt man. Und sie fahren wohl besser dabei.) Von den beiden Angeklagten kennt er nur einen. Den anderen hat er nie gesehen. „Wie war das denn bei der ersten Tat?“, möchte der Richter wissen. „Das habe ich alles schon erzählt. Ich habe ja gestanden.“ „Das mag sein“, klärt der Richter auf, aber natürlich haben nicht alle hier die Akten gelesen und es gilt nur, was sie jetzt und hier sagen.“

Die Verlesung der Anklagen für die beiden Täter zu Beginn hat 20 Minuten gedauert. Die Taten nach Rezept: Die Farbe, das Bohrloch, die Gasflaschen, das Benzin. Die Erfolglosigkeit.

Dass man am Ende fürs Versagen auch noch verknackt wird, wirkt wie die finale Dosis eines zynischen Schicksals. Zwölf Versuche. Zwölf Mal gescheitert. Vielleicht stimmt etwas nicht mit dem Youtube-Video. Gibt es Fortbildungen? Nein – all das ist nicht lustig. Die Explosionen waren teils gewaltig: Türen und Fenster flogen meterweit. „Wir haben immer Automaten ausgesucht, die abgelegen waren“, sagt einer der Einmaltäter. „Wussten Sie, was sich in Wesel über dem Selbstbedienungsterminal befand?“, fragt der Staatsanwalt. „Nein.“ Was also, wenn über einem der Tatort Wohnungen waren? Hätten die Täter alle Folgen billigend in Kauf genommen?

Der Schweigende der beiden Angeklagten hat möglicherweise ein Suchtproblem. Alkohol. Kokain. Die Kammer hat einen Gutachter beauftragt. Strafgesetzbuch, Paragraf 64: Unterbringen in einer Entziehungsanstalt: „Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. (…)“

Die Täter – irgendwie wirken sie nicht als seien sie Gewohnheitsbanditen. Was muss passieren, dass junge Männer, nachdem sie sich ein Youtube-Video vom Automatensprengen angesehen haben, das Nachahmen beschließen? Welche Bremse ist ihnen abhanden gekommen?

Der Prozess wird am Freitag um 9 Uhr fortgesetzt.

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