Straelener Übersetzerpreis 2016: „Preisträgerinnen ragen heraus“

STRAELEN. Ein „Mammutwerk, entstanden aus der Kraft kreativer Unvernunft“ hatte sich Brigitte Döbert vorgeknöpft. Als unübersetzbar galt das 1978 erschienene moderne Epos „Die Tutoren“ des serbischen Autors Bora ?osi?: fast 800 Seiten stark, voller Wortspiele und Stilbrüche. Brigitte Döbert bewies das Gegenteil und erhielt nun für ihre Arbeit den mit 25.000 Euro dotierten Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW 2016. Der 84-jährige Autor selbst adelte seine Übersetzerin mit der Feststellung: „Ich verstehe Brigitte Döberts Übersetzung als das Original und meinen Text als Übersetzung der Übersetzung.“ Der mit 5.000 Euro dotierte Förderpreis ging an Christine Ammann für ihre Übersetzung von David G. Haskells „Aus dem verborgenen Leben des Waldes“ aus dem Amerikanischen und wurde erstmals für die Übersetzung eines Sachbuchs verliehen.

Erstmals bildete eine Lesung der Preisträgerin zusammen mit „ihrem“ Autor Bora ?osi? das „Herzstück“ der Preisverleihung im Straelener EÜK.
Erstmals bildete eine Lesung der Preisträgerin zusammen mit „ihrem“ Autor Bora ?osi? das „Herzstück“ der Preisverleihung im Straelener EÜK.

70 Bewerbungen aus 20 Sprachen, verriet Claus Sprick, Präsident des Europäischen Übersetzerkollegiums (EÜK), waren für den diesjährigen Preis eingegangen. Jürgen Dormagen, der neben Ulrich Blumenbach, Kristof Magnusson, Rosemarie Tietze und Jan Wiele in der Jury saß, betonte: „Die beiden Preisträgerinnen ragen heraus.“ Die Jury begründete ihre Entscheidung mit der „enormen Herausforderung“, die Brigitte Döbert gemeistert habe: „Wie ?osi? entfaltet Brigitte Döbert die Welt aus dem Wort: Avancierte Erzähltechniken prallen auf Bauernweisheiten, übermütige Wortstolpereien folgen auf groteske Lexikoneinträge und Reimspiele. Diese Übersetzung bringt im Deutschen das Flittergold des Geredes zum Glänzen und entlockt dem Volksmund Weltwissen.“ Zum Förderpreis und seiner Preisträgerin Christine Ammann stellte die Jury heraus: „Die Übersetzerin folgt dem Autor in die Wälder von Tennessee und findet für seine detailgesättigten, dennoch mit angelsächsischer Leichtigkeit daherkommenden Naturerzählungen stets den richtigen deutschen Ton. Sie schafft Anschaulichkeit und atmosphärische Dichte und behält zugleich die Genauigkeit des naturforschenden Blicks.“
Laudatorin Dr. Alida Bremer ernannte die Sprache zum „Haupthelden“ in „Die Tutoren“. Die hintergründige und burleske Komik des Romans sei durch Döberts Übersetzung, die 2015 im Schöffling-Verlag erschienen ist, nun auch dem deutschen Publikum zugänglich. „Da wo Großes in der Literatur entsteht, werden sprachliche Grenzen überwunden. Bei der Übertragung des serbischen Originals hat Brigitte Döbert der deutschen Sprache ungeahnte Möglichkeiten entlockt“, so die Literaturwissenschaftlerin. Während der Entstehungszeit der „Tutoren“ war ?osi? mit einem Veröffentlichungsverbot belebt worden. Seine Familienchronik spannt  einen Bogen über 150 Jahre europäischer Geschichte und wird in einem Zug mit Werken von James Joyce und Laurence Sterne genannt.
Brigitte Döbert ging in ihrer Dankesrede auf ihre Beziehung zu Autor, Werk, den Parforceritt des Übersetzens und die Arbeitsbedingungen für ihren Berufsstand ein. „Am Rande des Wahnsinns“ sei sie bisweilen durch den Text gerobbt und gekrochen. „Der Jubel, der in mir aufsteigt, wenn mir eine Formulierung gelingt, ist dann mein eigentlicher Lohn“, gestand sie. Diesen Jubel könne sie selten teilen. Aber: „Diesmal ist das anders. Es ist ein herrliches Gefühl, wahrgenommen zu werden, die eigene Arbeit gewürdigt zu sehen, sie geschätzt zu wissen…“ Und es seien Preise wie dieser, verliehen in Kooperation mit dem Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen, die dem Berufsstand insgesamt Auftrieb geben.
Die „souveräne Eleganz“, mit der Christine Ammann „botanisches Vokabular mit der literarischen Ebene des Textes verknüpft“, hob Dr. Alida Bremer hervor: „Eindrucksvolle Vergleiche, etwa wenn Zecken mit ihrem Suchverhalten an die Ritter der Artusrunde erinnern, da sie ‚nach demselben suchen: einem blutgefüllten Gral‘, paaren sich mit wissenschaftlicher Terminologie.“ Für „Aus dem verborgenen Leben des Waldes“ hatte der Autor David G. Haskell ein Jahr lang tagtäglich einen Quadratmeter Waldboden beobachtet und in poetische Naturbetrachtung verwandelt. Das Buch liege ihr sehr am Herzen, erzählte Christine Ammann: „Es geht um uns, um unser Leben und die Stellung des Menschen in der Natur. Das verborgene Leben des Waldes ist ein Buch, aus dem man anders heraus- als hereingeht. Was könnte man mehr von Literatur verlangen?“ Für sie „lag eine besondere Herausforderung darin, die vielfach komplexen Inhalte in eine mitunter poetische, mitunter locker-humorvolle Sprache zu bringen.“ Auch sie dankte der Kunststiftung NRW und Generalsekretärin Dr. Ursula Sinnreich, die den Preis jedes Jahr ausloben: „Preise wie diese ermöglichen uns Übersetzern, in Ruhe und ohne Zeitdruck auch an aufwändigen Projekten zu arbeiten. Sie sind eine ganz wichtige Anerkennung unserer Arbeit, wichtig für uns Übersetzer persönlich und für das Bild des literarischen Übersetzers in der Öffentlichkeit.

-Anzeige-
Vorheriger ArtikelRussisches Ballett auf dem Eis
Nächster ArtikelGottesdienst und Gänsehaut: „V – the Experience”