KREIS KLEVE. Nun haben sich die Spekulationen der vergangenen Wochen also doch bestätigt: Dr. Detlef Garbe hat in seinem Gutachten zur Schulentwicklungsplanung der Berufskollegs im Kreis Kleve die Empfehlung ausgesprochen, den Standort in Goch aufzugeben und die Bildungsgänge in Kleve und Gel­dern anzubieten. Kritik kommt nicht nur von Ausbildungsbetrieben aus dem Nordkreis – vor allem aus Emmerich –, sondern auch von der Politik.

In seinem Gutachten stellt Garbe in Aussicht, dass sich die Schülerzahlen in Goch von aktuell 1.280 auf 1.138 im Jahr 2019 verringern werden. In den nächsten zehn Jahren sollen insgesamt rund 1.500 Schüler weniger die Berufskollegs im Kreis besuchen. Dies betreffe vor allem die ausbildungsbegleitenden Teilzeit-Bildungsgänge. Mit einer Konzentration der Bildungsgänge auf nur zwei Standorte könne man die Versorgung im Kreis sichern, urteilt Garbe.

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Zwei Szenarien

Der Gutachter legte dem Kreis-Schulausschuss zwei Szenarien vor, die unterschiedliche Verlagerungen der Gocher Bildungsgänge vorsehen. In Szenario eins, der „Quantitativen Optimierung”, geht ein Großteil der kaufmännischen Bildungsgänge – darunter auch die Industriekaufleute – künftig nach Geldern. In Szenario zwei, der „Nachhaltigen Strukturierung”, werden diese nach Kleve verlagert – diese Lösung favorisierte Garbe. Gleichzeitig empfahl er dem Ausschuss, ab 2019/2020 am Standort Goch keine weiteren Klassen mehr zu bilden und die dann frei werdenden Mittel für eine Modernisierung des Klever Standortes zu nutzen. In jedem Fall aber sollten die Schüler in Goch ihre Ausbildung beenden können.

Mit seiner Empfehlung hat Garbe längst nicht alle überzeugt. „Wir bleiben dabei: Wir sind gegen die Schließung”, sagt etwa Hermann Brendieck, Geschäftsführer der Grünen im Kreis Kleve. Unter anderem kritisiert Brendieck, dass weder Ausbildungsbetriebe noch Schüler bei der Erstellung des Gutachtens angesprochen worden seien: „Es kann nicht sein, dass ein Gutachter nur im stillen Kämmerlein sitzt; er hätte mit den Praktikern sprechen sollen.” Diese Kritik war bereits bei der Vorstellung des Gutachtens laut geworden. Garbe hatte darauf verwiesen, solche Gespräche seien nicht Teil des Prüfungsauftrages gewesen. Dies bestätigte der Kreis als Auftraggeber.

Brendieck prangert auch die Informationspolitik des Kreises an: „Was sollte der Zirkus, das alles so lange geheim zu halten.” Er sei überzeugt, dass Landrat Wolfgang Spreen zumindest die Zwischenergebnisse „schon seit einem halben Jahr in der Schublade hatte”. Brendieck kommt zu dem Schluss: „Das Gutachten liest sich wie die Begründung für eine bereits beschlossene Schließung des Gocher Standortes.” Das Fehlen eines dritten Szenarios, das den Erhalt des Gocher Standorts vorsieht, belege dies.

Beim Kreis widerspricht man dieser Einschätzung. Gutachter Garbe habe lediglich den Auftrag gehabt zu prüfen, ob angesichts sinkender Schülerzahlen bei der Dualen Ausbildung noch ein dritter Standort benötigt werde. Entsprechend des Ergebnisses habe er dann eine Empfehlung ausgesprochen mit dem deutlichen Hinweis, dass nun die Politik am Zuge sei; sie müsse nun ihrerseits eigene Rückschlüsse ziehen, diskutieren und letztlich eine Entscheidung treffen. Dies könne am 2. November geschehen, wenn eine Beschlussempfehlung formuliert werden soll; die Diskussion könne aber auch länger andauern.

„Diskussion ist eröffnet”

Eine Initiative aus Unternehmen aus dem Nordkreis, zu der neben Katjes, Probat und Kao Chemicals aus Emmerich auch Colt International aus Kleve sowie Nähr-Engel aus Goch gehören, hat alle Kreistagsparteien angeschrieben und auf die mit einer Schließung des Gocher Standortes einhergehenden möglichen Probleme für die Ausbildungsbetriebe hingewiesen. „Jetzt müssen wir sehen, was passiert. Die Diskussion ist jedenfalls eröffnet”, sagt Jürgen Kucken, Personalchef bei Katjes.

Für Jürgen Kucken ist klar, das alles auf eine entscheidende Frage hinausläuft: Wohin werden die jeweiligen Bildungsgänge verlagert. Der Standort Geldern wäre „eine erhebliche Belastung für unsere Auszubildende”. Dabei spielt Kucken nicht nur auf den zeitlichen Faktor an. So mancher Auszubildende sei noch nicht im Besitz eines Führerscheins, „darauf müssten wir bei der Einstellung dann künftig achten”. Dies würde einen großen Nachteil für Schulabgänger vor allem von Haupt- und Realschule bedeuten und ihnen berufliche Chancen nehmen. „Hinzu kommt das Risiko im Straßenverkehr, denn die Auszubildenden sind in der Regel Fahranfänger.”

Falls die Bildungsgänge doch nach Geldern gehen, müsse man sich ernsthaft mit den Berufskollegs in Wesel und Bocholt beschäftigen. „Das alles ist dem Kreis Kleve jedenfalls nicht zuträglich”, sagt Kucken.

Die Gutachten des Gutachtens hat bei Lukas Verlage jedenfalls nicht für Beruhigung gesorgt. „Beruhigt bin ich erst, wenn Klarheit herrscht und die Entscheidung für Kleve gefallen ist”, sagt der Geschäftsführer von Colt in Kleve. Grundsätzlich habe sich für ihn durch nicht viel geändert, „außer dass Goch schließt”. Er erwartet nun, dass sich die Politik mit dem Gutachter genau auseinandersetzt, „dann werden wir als Ausbildungsbetrieb auch noch mal den Kontakt zu den politischen Gremien suchen”. Verlage stellt dazu klar: Mit Szenario zwei könne er gut leben. Ganz anders sieht die Welt in Goch aus. „Die Nachricht muss man erst einmal sacken lassen”, sagt Andreas Sprenger, der Fraktionsvorsitzende der Gocher CDU. Natürlich müsse man das Thema in seiner Gesamtheit betrachten und könne angesichts sinkender Schülerzahlen nicht die Augen verschließen: „Der Demographie kann man an dieser Stelle nicht entgegenwirken.”

„Bitterer Verlust”

Aber: „Es wäre schon bitter, wenn wir den Standort Goch verlieren würden”, betont Sprenger, „deshalb müssen wir mit den Entscheidern in den Dialog treten.” Die Gocher CDU stehe im engen Austausch mit den christdemokratischen Kreistagsmitgliedern und bekenne sich klar zum Berufskolleg-Standort Goch, was auch in der gemeinsamen Resolution des Rates zum Ausdruck gekommen sei. Dass der Verlust des Berufskollegs für die Gocher Unternehmen katastrophal wäre, sei in den vergangenen Wochen an die CDU herangetragen worden: „Da hat man gemerkt, welche Brisanz das Thema hat”, so Sprenger.

Auch Bürgermeister Ulrich Knickrehm äußert sich zum Geschehen: „Ich bedaure es sehr, dass es zu dieser Empfehlung im Gutachten tatsächlich gekommen ist. Im Gutachten ist nicht alles berücksichtigt, was aus unserer Sicht maßgeblich ist. Eine Schließung des Schulstandortes hier in Goch würde große Nachteile bedeuten und entsprechend der Resolution des Rates der Stadt Goch, fordere ich den Landrat auf, die Schließungspläne nicht weiter zu verfolgen.”

Hermann Brendieck verweist abschließend noch auf eine aktuelle Diskussion, wenn er sagt: „Wir zweifeln an den Zahlen von Herrn Garbe.” Dieser habe in seinem Gutachten nicht den Faktor Flüchtlinge berücksichtigt. Diese sollen laut Bundesministerium für Bildung und Forschung durch gezielte Vorbereitungsmaßnahmen auf eine Ausbildung in Deutschland vorbereitet werden. Einige Emmericher Unternehmen organisieren bereits seit Jahresbeginn neben Sprachkursen auch Praktika für Flüchtlinge. „Wir haben einen starken Zuzug von Flüchtlingen hier im Kreis”, sagt Brendieck. Diese sollen letztlich in das Duale System vermittelt werden, doch habe Garbe das nicht eingerechnet. „Daher sind seine Daten wertlos”, meint Brendieck.

M. Bühs/C. Denzer-Schmidt

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