Biene Maja im Gepäck

KLEVE. Die Gruppe 15 besteht aus zehn Besuchern. Absender: Kleve – Justizvollzugsanstalt (JVA). „Bitte zuerst durch den Sicherheits-Check.Den Rest erklären wir dann später.“ Landtag live. Die Klever sind auf Einladung hier. Die Gastgeberin Ina Spanier-Oppermann, im folgenden  buchstabendsparend ISO genannt, ist MdL: Mitglied des Landtags. Mitglied im Ausschuss für Schule und Weiterbildung, Mitglied im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Mitglied im Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation. Frau Opperman war mal mit dem
Justizminister in der Anstalt. Festakt: 100 Jahre JVA Kleve. Bei dieser Gelegenheit sah sich ISO die
Besuchsabteilung der JVA an, war begeistert von einem Kinder-Besuchsraum und lud zum Besuch
nach Düsseldorf.

Angereist: Die Beamten der Besuchsabteilung, ein Sportbeamter, ein Pfortenbeamter, die Chefin S
und O (das steht für Sicherheit und Ordnung) und der katholische Anstaltsseelsorger. Dazu ein „Herr
von der Presse“. Die Besuchertour ist genormt. Stunde eins: Erklärung des Landtags durch einen Mitarbeiter (es besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen.) Stunde zwei: Verfolgen einer Debatte von der Besuchertribüne aus. Stunde drei: Treffen mit dem jeweiligen Gastgeber – Diskussion. Dann der Absacker: Kaffee und Kuchen. Es sind reichlich Gruppen „im Gelände“. Das Unternehmen-Landtag ist eine gut geölte Maschine. Alles spielt sich auf die Minute genau ab. Logistik muss. Man ist zeitig erschienen. Das Wetter ist hervorragend. Da wird das Warten auf den Einlass sonnenbadend erfreulich. Zwischendurch Smalltalk mit dem CDU-MdL des Kreises Kleve. Danach: Sicherheits-Check. „Uhren und Gürtel können Sie anbehalten. Jacken und Taschen auf ’s Band.“ Bei einem piept’s. Wird wohl der Gürtel gewesen sein. Willkommen im Landtag. „Sie werden dann in 30 Minuten abgeholt.“ Zeit für einen Kaffee in der Lobby. Unternehmen Landtag 30 Minuten später wird die Gruppe in einen der kreisrunden Sitzungsräume geführt und bewundert die fabelhafte Aussicht auf den Rhein. Ein junger Mann im Anzug („Bitte sehen Sie mir nach, dass ich verschnupft bin; sollten Sie Fragen haben – nur zu; ich hoffe, dass ich auf die meisten Fragen eine Antwort haben werde) erklärt das Unternehmen Landtag in allen Facetten:Wer sitzt wo im Plenarsaal? “Warum sind nicht immer alle Abgeordneten im Saal?” “Weil die eigentliche Arbeit in den Ausschüssen stattfindet. Im Plenarsaal werden quasi die Ergebnisse präsentiert.”

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Schnell schreiben
Der Landtag hat eigene Stenografen, die, so lernt Gruppe 15, die übrigens in der ersten Stunde mit
Gruppe 14 zusammen instruiert wird, 400 bis 450 Silben pro Minute schaffen. „Ich hatte keine richtige Vorstellung davon, was das bedeutet, aber mir hat jemand erklärt, das sei, als würden sie ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘ in einer Sekunde aufschreiben“, sagt der Mann mit dem Schnupfen. Also: Schneller schreiben als Sprechen. Alle Achtung. Scheint ein Knochenjob zu sein, denn im Protokoll soll ‚alles‘ mit aufgenommen werden – simultan erfolgende Zwischenrufe inklusive. Und weil die Sache ziemlich anstrengend ist, werden die Schreiber alle fünf bis sieben Minuten ausgewechselt. Nach ziemlich genau 60 Minuten (die Zeit vergeht tatsächlich wie im Flug) steht eine junge Dame in der Tür und möchte „die Gruppe 15 zur Besuchertribüne mitnehmen“.

Ignoranz
Raus aus dem Sitzungssaal, ab durch die Lobby, rein in den Aufzug – ab nach oben. Zwischendrin:
Verhaltenscodex.Auf der Tribüne nicht essen, quatschen, mitdiskutieren, applaudieren, fotografieren
oder telefonieren. Bei Zuwiderhandlung kann ein Strafgeld fällig werden – auch ein Hausverweis durch die Chefin (Landtagspräsidentin oder Vertretung) ist möglich. Gut, dass man längst weiß: Chef im Landtag ist nicht die Hannelore.Hausherrin ist die Landtagspräsidentin. Lautlos geht es die letzten Meter bis zu den Plätzen. „Ich hole Sie dann in 60 Minuten wieder ab.“ Unten im Saal: Eine aktuelle Stunde zum Thema: „Wollen wir Videoüberwachung total? Wollen Teile der  Landesregierung den Menschen Sicherheit nur vorgaukeln?“ Was nun folgt, ist eine Lehrstunde zum Thema Ignoranz und schlechtes Benehmen. Wenn einer ans Pult tritt, hört nur die eigene Fraktion zu. Alle anderen sind möglichst demonstrativ und dekorativ damit beschäftigt,Nichtteilnahme zu simulieren. Während Piraten, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und CDU von Videoüberwachung  prechen, benutzt der SPD-Redner das Wort Videobeobachtung. Ein feiner Unterschied im Gewicht der Worte. „Was hatten Sie für einen Eindruck?“ Das Plenum: Ziemlich leer gefegt. Als es unten um
das „Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes“ geht, wird die Gruppe 15 herausgewunken. Folgt: Das Treffen mit ISO Sie kommt einen Hauch zu spät. Kein Problem. Der wissenschaftliche Mitarbeiter („Eigentlich bin ich ja eher ein Mädchen für alles“) nimmt die ersten Fragen entgegen. Dann: ISO. Strahlend, herzlich. Liebenswert. Volksnah.„Was hatten Sie für einen Eindruck?“, fragt sie nach der Zeit auf der Tribüne und hört viel Schlechtes. Das Benehmen der Abgeordneten lässt zu wünschen übrig.Warum redet einer, wenn ja doch niemand zuhört? ISO stellt fest, dass die Politik ein Image-Problem hat.Woran das liegen
könnte, möchte Sie wissen. Na ja, zum Beispiel daran, dass Politik sich wenig verlässlich zeigt, wenig erklärt.

Andere Wirklichkeit
Natürlich darf man seine Meinung ändern, aber man soll es dem Volk, zu dem man selbst gehört, bittschön, erklären. Das sieht ISO auch so. Sie macht sich Luft. Sie ist authentisch. Sehr authentisch. Man glaubt, was sie sagt.Antrainiertes Verhalten? Man ist misstrauisch, aber die Spanier-Oppermann ist glaubhaft in ihrem Zorn, glaubhaft in ihrer Begeisterung, glaubhaft in ihrem Engagement.Vielleicht ist ein Parteiensystem die falsche Lösung, denkt man. Volksvertreter sollten an einem Strang ziehen. Der Strang sollte das Wohl derer sein, in deren Namen man hier ist. Die Debatte im Plenarsaal offenbart eine andere Wirklichkeit: Geklatscht wird nur für die eigenen, die Koalition. Alles, was nicht von uns ist, interessiert uns nicht. Das kommt rüber. Was nützt es, dass ISO erzählt,wie konstruktiv in den Ausschüssen gearbeitet wird, wenn am Ende das Plenum die
Visitenkarte ist?

Kaffee, Kuchen und Minister
Nach 59 Minuten wird der Raum für die nächste Gruppe gebraucht. ISO führt ihre Gäste ins Foyer.
Gruppenbild auf der kleinen Treppe.Zum Abschluss: Kaffee und Kuchen in der Kantine. Tisch, Kaffee
und Kuchen stehen bereit. Übergabe eines Geschenks an ISO: Eine Biene Maja für den Schreibtisch. Aufforderung zur Bestanfsaufnahme.Wo tut‘s weh in der Wirklichkeit? Und:„Wenn Sie was haben, nehmen Sie den ganz kurzen Weg.“ Wird gemacht. ISO macht Notizen. Kurzauftritt des  ustizministers. Immerhin ist der ja „der Chef der Reisegruppe“. ISO ruft ihn kurz an den Tisch. Es geht um Fragen zur Novelle des Vollzugsgesetzes.Gruppenbild mit Minister. Das war‘s. Die ISO würde man anrufen, wenn das Bauchweh einsetzt und man möchte wirklich glauben, dass sie sich kümmert. Parkgebühren – je angefangene Stunde zwei Euro. Zehn Euro sind zu berappen. Auf nach Kleve. Morgen ist wieder Wirklichkeit.

Justizminister Thomas Kutschaty (4.v.r.), Ina Spanier-Oppermann (Mitte) und die Besucher von der JVA Kleve. NN-Foto: HF
Justizminister Thomas Kutschaty (4.v.r.), Ina Spanier-Oppermann (Mitte) und die Besucher von der JVA Kleve. NN-Foto: HF

Justizminister Thomas Kutschaty (4.v.r.), Ina Spanier-Oppermann (Mitte) und die Besucher von der JVA Kleve. NN-Foto: HF

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