Mehrwert ohne Besteuerung

EMMERICH. Natürlich kann man auf ein Plakat nur Ort, Datum, Uhrzeit  und Anlass drucken und es dabei belassen.  Es gibt Plakate von bewusstloser Zweckmäßigkeit, die den Spaß am Hinsehen reduzieren. Aber: Es geht auch ganz anders.
Wenn Menschen die musealen Größen der Region innerlich auf Parade schicken, gibt es Namen, die regelmäßig genannt werden und solche, die regelmäßiger genannt werden sollten. Wie wär‘s mit dem PAN in Emmerich. PAN steht – es soll Menschen geben, die das noch nicht wissen – für Plakatmuseum am Niederrhein. Rund 80.000 Plakate befinden sich im ständig wachsenden Bestand. Rund zwei Mal im Jahr  zeigt das Museum, was es hat und manchmal auch, was es nicht hat.  Vom kommenden Sonntag bis zum 12. August sind jetzt unter dem Titel „Ein halbes Jahrhundert Zeitgeschichte im politischen Plakat“ Arbeiten von Holger Matthies zu sehen und so viel sei gleich gesagt: Die Ausstellung ist weniger sperrig als ihr Titel.  Das ist – sozusagen – ein krasses Understatement, denn was im PAN an den Wänden hängt, ist ergreifenfde Plakatkunst auf allerhöchstem Niveau.
Die Ausstellung ist eine Art Frischzellenkur für den manchmal alltagsstumpf gewordenen Geist, der mit „Fakten, Fakten, Fakten“ zugeschüttet wird und manchmal die zweite Ebene aus den Augen verliert.
Holger Matthies Arbeiten handeln von der Kunst, das Denken mit dem Zweck zu verheiraten. Die Botschaftsträger: Worte, Bilder. Der Haftstoff: Gemeinsamkeiten und Gegenteile, denn aus der Spannung zwischen Sichtbarem und Ahnbarem entstehen Satire oder Kritik. Jedes Plakat: Eine Liebesheirat. Jedes Plakat: Eine VerDichtung, ein Statement, das weit über den Zweck hinaus in die Seele ragt. Die Addition von Wort und Bild schafft einen steuerfreien Mehrwert – am Schluss ist alles miteinander verschweißt wie es auch bei der Mischung von Bild und Ton im Film stattfindet.
Man muss nicht alle Aussagen teilen, aber man kommt an keiner vorbei. Da erhebt sich ein freier Geist über zweckzerstückelten Tagesdenken und legt – manchmal mit Winzigkeiten – Sinnschichten frei, die beim ersten Hindenken gar nicht stattfinden.
Manchmal greift Matthies zu Bildern oder Montagen – manchmal lässt er einen mit seiner Denkart eines Titels allein. Wie gestaltet man ein Plakat für Schillers Kabale und Liebe? Wie bringt man die Schrift zum Sprechen? Einfach mal nach Emmerich fahren, hingucken und erleben wie Kleinigkeiten das Große machen.
Matthies rollt eine weiße Friedenstaube in eine Eisenkette und verriegelt alles mit einem Vorhängeschloss. Der Atem bleibt einem im Halse stecken. Matthies ist mal federleicht und manchmal leidensschwer. Vom sanften Streicheln bis zur harten Prügel wird alles geboten – alles ausgereizt ohne zu überreizen. Matthies‘ Plakate sind ganz große Kunst und das nicht nur formatbezogen.  Die Ausstellung im PAN hat das Zeug, bei großen Ereignissen mitzuspielen. Wer glaubt, Plakate seien ein kunstfernes Konstrukt, sollte in Handschellen vorgeführt werden. Man wünschte dem PAN  einen Etat, der ausreichen würde, um die Medien zu locken und mit den Medien ein Publikum – ein großes Publikum, denn genau das hat diese Schau verdient.
Natürlich ist „Ein halbes Jahrhundert Zeitgeschichte im politischen Plakat“ auch politisch, aber es geht nicht um Politik. Natürlich könnte man Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ auch „Drei Generationen Jahre Kino in Italien“ nennen oder „Wanderers Nachtlied“ „Reduzierte Lärmemission im Grüngürtel“, aber zwischen dem Zweck und der Poesie liegt genau jenes Terrain, das von einem wie Holger Matthies genial annektiert wird.  Wer die Titelhürde überklettert, wird mehr als reich belohnt.
„Holger Matthies“, erzählt PAN-Kuratorin Christiane van Haaren, „hat sich bei uns beworben.“ Und gottseidank sind die PANiker darauf eingegangen. Im Flyer zur Ausstellung fragt sich Matthies, ob das Plakat in Zeiten  moderner Medien eine Überlebenschance hat. Die Antwort kann gegegeben werden: Solange Leute wie er am Werk sind, sollte sich niemand Sorgen machen.Die Ausstellung im PAN ist ein absolutes Muss. Das Museum ist dienstags bis sonntags zwischen 11 und 16 Uhr geöffnet. HFrost

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