Verstehen ist mehr als nur hören können

Gründung einer Selbsthilfegruppe für Gehörlose und Cochlea-Implantierte, Interessierte können sich melden

XANTEN. Spricht man einen Menschen an und dreht der sich einfach weg, ohne zu reagieren, so hält man ihn für „dumm“ oder „arrogant“. So erging es Manuela Josten sehr häufig. Ihre Umwelt konnte ja nicht wissen, dass sie  gehörlos war und daher nicht reagierte.

Für Marlene Josten ist der Computer ein wichtiges Hilfsmittel. NN-Foto: Lorelies Christian
Für Manuela  Josten ist der Computer ein wichtiges Hilfsmittel.
NN-Foto: Lorelies Christian

„Wenn man nichts mitbekommt, fühlt man sich ausgegrenzt“, weiß die 57-Jährige aus langjähriger Erfahrung. Denn ihre Schwerhörigkeit begann bereits vor rund 30 Jahren – zunächst harmlos. „Ich musste einfach mal  häufiger nachfragen. Habe nicht immer alles auf Anhieb verstanden“, denkt sie zurück. Ihren Beruf als Krankenschwester musste sie aufgeben, weil sie auch die Anordnungen der Ärzte nicht immer sofort umsetzen konnte. Durch eine schwere Krebserkrankung verlor Manuela Josten vor zwölf Jahren komplett ihr Gehör. „Ich erhielt Hörgeräte. Doch diese verstärken nur den Schall und erhöhen nicht das Sprachverständnis“,  machte sie Erfahrungen, die sie mehr und mehr in die Isolation trieben.
Durch eigene Internet-Recherchen wurde sie aufmerksam auf sogenannte „Cochlea Implantate“ – das sind elektronische medizinische Geräte, die die Funktion der beschädigten Teile des Innenohrs (der Cochlea) übernehmen, um Audiosignale an das Gehirn zu übertragen. In der Helios-Klinik Krefeld erhielt sie vor fünf Jahren das erste Implantat und hörte wieder Geräusche, die sie seit vielen Jahren nicht mehr wahrgenommen hatte. „Man nennt uns auch Blechohren“, scherzt Manuela Josten mit Blick auf den Soundprozesser, der hinter ihrem Ohr befestigt ist und die Sendespule, die als Implantat unter der Haut eingepflanzt ist.
Das elektronische Gerät bietet  vier Programme, mit denen man im Alltag bestehen kann, Hintergrundgeräusche abstellen, um sich auf bestimmte Situationen zu fokussieren, Umgebungsgeräusche ausblenden, um bei Lärm höhere Konzentration zu erlangen und auch für Musik, denn Melodien klingen wieder ganz anders als Sprachen.
So intelligent das Cochlea-Implantat auch ist, ohne Zutun des Trägers funktioniert nichts. „Es ist ein ewiger Lernprozess“, beschreibt die Xantenerin den Umgang. „Wir müssen ständig den Sinn des Gehörten ergründen.  Das erfordert eine hohe Kombinationsgabe und absolute Konzentration und natürlich viel viel Training“, erklärt sie. Die Wahrnehmung des „Piep – Piep“ Geräusches bedeutet zum Beispiel, dass ein Auto in der Nähe ist. Und die Micky-Maus-Stimme, die da spricht, ist Manuela Josten selbst. Doch das klingt nur in ihren Ohren so. Das Gegenüber hört die Stimme ganz normal.
Inzwischen hat Manuela Josten seit dem letzten Jahr auch am anderen Ohr ein Cochlea-Implantat, so dass ihr sogar räumliches Hören möglich ist. Und doch kann sie sich nicht nur auf ihre „Blechohren“ verlassen, gleichzeitig schaut sie auf den Mund ihres Gesprächspartners. „Männer mit Vollbärten machen mir Schwierigkeiten“, deutet sie an, dass ein Bart die Mimik verdeckt.
Sie kommt gut zurecht im Alltag und möchte gerne ihre Erfahrungen mit anderen teilen. Dazu möchte sie eine Selbsthilfegruppe für Gehörlose und Cochlea-Implantierte in Xanten gründen.  Als sie noch in Krefeld wohnte, rief sie die Selbsthilfegruppe „Ganz Ohr“ ins Leben. „Der Austausch war uns allen sehr wichtig, da wir ja im ständigen Lernprozess stehen und von den Erfahrungen anderer Betroffener lernen können. Für viele bedeutet das Zusammensein mit ebenfalls Betroffenen auch einen Schritt raus der Isolation.“
Manuela Josten erhält bei der Gründung der Selbsthilfegruppe Unterstützung durch die Selbsthilfe-Kontaktstelle Kreis Wesel. Wer Interesse hat  am Austausch in einer Gruppe, kann eine mail  richten an: selbsthilfe-wesel@paritaet-nrw.org Die Kontaktstelle übernimmt die Koordination und wird zu einem ersten Treffen einladen.

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