„Ein Bewusstsein schaffen
für das Leben hier“

Informationen in sieben Sprachen: In Kranenburg bringen Flüchtlinge einen Newsletter heraus. Damit wollen sie auch verhindern, dass sich eine Parallelgesellschaft entwickelt.

KRANENBURG. Krieg, Armut, Verfolgung – es gibt viele Gründe, aus denen Menschen aus ihrer Heimat nach Deutschland fliehen. Das spiegelt sich auch bei einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen in Kranenburg wieder, die sich regelmäßig trifft. Sie wollen etwas tun für die eigene Integration und für das Miteinander mit der Kranenburger Bevölkerung. Sie haben sich Angela Merkels „Wir schaffen das“ zum Vorbild genommen und bringen den Newsletter „Kranenburg International“ heraus – ein Info-Blatt in sieben Sprachen, von Flüchtlingen für Flüchtlinge.

Initiator des Newsletters ist Friedhelm Kahm, pensionierter Lehrer und SPD-Ratsmitglied, der im vergangenen Jahr den „Runden Tisch“ für Flüchtlinge gestartet hatte. „Information ist ein wichtiger Punkt“, weiß Kahm, „wenn wir verhindern wollen, dass eine Parallelgesellschaft bei den Flüchtlingen entsteht.“

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Das Team hinter dem Newsletter: Derzeit arbeitet die Gruppe um Friedhelm Kahm (3. v. l.) an der vierten Ausgabe. NN-Fotos (2): MB
Das Team hinter dem Newsletter: Derzeit arbeitet die Gruppe um Friedhelm Kahm (3. v. l.) an der vierten Ausgabe.
NN-Fotos (2): MB

Als Redaktionsraum wurde, mit tatkräftiger Unterstützung der Flüchtlinge, ein Kellerraum im ehemaligen Fraktionsgebäude eingerichtet und ausgestattet. Ein Redaktionsteam für den Newsletter war ebenfalls schnell gefunden. „Mr. Fred“, wie Kahm genannt wird, und die Sprecher der Flüchtlingsgruppen suchten nach geeigneten Kandidaten, die bereit sind, sich zu engagieren und gute Sprachkenntnisse in Englisch und vielleicht auch Deutsch besitzen. „Wir sind eine sehr erlesene Gruppe“, sagt Kahm mit einem Augenzwinkern. Was er meint: Viele im Team haben in ihren Heimatländern studiert.

So auch der 32-jährige Ali aus der pakistanischen Region Kaschmir. Dort kämpfte er auf politischer Ebene für die Unabhängigkeit Kaschmirs und flüchtete im November 2014 vor der politischen Verfolgung nach Deutschland. „Wir versuchen zu helfen“, sagt Ali über sein Engagement. „Wir wollen den Flüchtlingen Hinweise geben und ein Bewusstsein schaffen für das Leben hier in Deutschland.“ Es gehe darum, auf Rechte, aber auch Pflichten aufmerksam zu machen. Ali spricht da von einer „Awareness Round“, die man zusätzlich zum Newsletter einführen sollte: „Wir müssen zu den Flüchtlingen, nur so können wir wirklich alle erreichen.“

Ebenfalls zum Redaktionsteam gehört die 18-jährige Florida aus dem Kosovo. Mit dem Newsletter „wollen wir die anderen Flüchtlinge darüber informieren, was in Deutschland passiert – denn nicht jeder tut dies von sich aus.“ Viel Erfahrung bringt Mohamad mit: Der 23-Jährige hat in seiner Heimat Aleppo in Syrien unter anderem für den Nachrichtensender Al Jazeera gearbeitet, bevor er vor dem Krieg floh und im September vergangenen Jahres nach Deutschland kam. „Der Newsletter ist eine wirklich gute Sache, alle im Team strengen sich an“, erzählt Mohamad. Er blickt schon in die Zukunft: „Derzeit ist es noch relativ einfach, weil es nur eine Seite ist. Aber er könnte durchaus größer werden.“

DruckDas Redaktionsteam weiß, was die Flüchtlinge in Kranenburg beschäftigt und interessiert. „Wir gehen mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt“, erzählt Ali. Bei den Teamsitzungen – derzeit bereiten sie die vierte Ausgabe vor – werden mögliche Themen besprochen, darunter Sprachkurse, Infos rund um die Integration, eine Gesprächsrunde mit Politikern oder auch Übersetzer, die erkrankte Flüchtlinge bei einem Arztbesuch begleiten. Die Politik wird bewusst nicht außen vor gelassen. „Viele Flüchtlinge haben beispielsweise nicht mitbekommen, was bei den jüngsten Landtagswahlen passiert ist“, weiß Kahm mit Blick auf die Erfolge der umstrittene AfD. „Da wollen wir mit dem Newsletter ansetzen.“

Es dürfte selbstverständlich sein, dass das Schicksal der Teammitglieder die Gruppe ebenfalls beschäftigt. Während beispielsweise Ali und Mohamad offenbar recht gute Aussichten auf ein Bleiberecht haben, steht bereits fest, dass Florida mit ihrer Familie wieder zurück in den Kosovo muss. Sie weiß, dass sie hier als Wirtschaftsflüchtling gilt: „Aber im Kosovo gibt es einfach keine Perspektive. Man bekommt nur Arbeit, wenn man Geld an seinen Arbeitgeber bezahlt.“ Sie hofft, dass sie später noch einmal die Möglichkeit einer Rückkehr erhält. „Ich würde gerne hier Journalismus studieren. Ich sehe Deutschland auch mehr als meine Heimat, immerhin bin ich in Thüringen geboren.“ Damals war ihre Familie während des Jugoslawien-Krieges erstmals in die BRD gekommen. Friedhelm Kahm jedenfalls wird die 18-Jährige nur ungern ziehen lassen: „Sie spricht sehr gut Deutsch und ist wirklich ein Beispiel für gelungene Integration.“ Dass sie nun gehen muss, kann er nicht nachvollziehen. „Wir schaffen das“ – es funktioniert eben doch nicht immer.

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