Hildegard Wolff, Maria Peeters und Praktikantin Jessika Hommel (vl) setzen sich intensiv mit dem Thema auseinander. NN-Foto: CDS

KREIS KLEVE. Sexualisierte Gewalt ist etwas, was jede siebte Frau mindestens einmal in ihrem Leben erfährt, so der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff); angezeigt würden jährlich 8.000 Vergewaltigungen und es gebe Studien, die besagten, dass 85 bis 95 Prozent der Frauen eine erlebte Vergewaltigung nicht anzeigten. Nur ein Bruchteil der Anzeigen führe auch zu Verurteilungen, lautet die Bilanz des bff.

Justizminister Heiko Maas hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im März auf den Weg gebracht werden soll und der einen neuen Straftatbestand im „Vergewaltigungsparagrafen“ – §177 STGB – vorsieht: den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände. Diese liegen dann vor, wenn sich das Opfer aufgrund seines körperlichen oder psychischen Zustandes, wegen der überraschenden Begehung der Tat, oder aus Angst vor einem empfindlichen Übel nicht wehrt. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn das Opfer der Gewalteinwirkung schutzlos ausgeliefert ist oder die Widerstandsunfähigkeit auf einer Behinderung beruht.

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„Es wird zwar eine zusätzliche Regelung formuliert, aber es gibt keine wirkliche Änderung“, kritisiert Maria Peeters von der Frauenberatungsstelle „Impuls“, „der Ansatz ist falsch; das fehlende Einverständnis der Frau reicht immer noch nicht aus.“ Gemeinsam mit dem bff und dem Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW fordert die FBS „Impuls“, die mit Standorten in Goch, Kleve, Emmerich und Geldern den ganzen Kreis Kleve abdeckt, deshalb eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts.

„Es gibt weiterhin Schutzlücken“, erklärt ihre Kollegin Hildegard Wolff, „wenn die Frau sich nicht gewehrt hat, geht der Täter immer noch straffrei aus.“ Gynäkologisch verwertbare Spuren, Verletzungen und Zeugen – ohne das sei eine Verurteilung kaum zu erreichen. Oft müssten die Frauen auch erklären, warum sie sich nicht zur Wehr gesetzt haben. Hier verweist Maria Peeters auf die Traumaforschung: „In bestimmten Situationen handelt man nur noch instinktiv; sind Kampf oder Flucht nicht möglich, lässt man etwas über sich ergehen, das gehört zum menschlichen Repertoire. Den Frauen wird es aber strafrechtlich angelastet.“

„Wir fordern: Nicht das Verhalten des Opfers sollte an zentraler Stelle stehen, sondern das des Täters!“, betont Hildegard Wolff. Oft kämen aus dem Umfeld der Opfer auch Äußerungen wie „Warum warst Du nachts draußen?“ oder „Wieso hast Du so einen kurzen Rock getragen?“ Dass sich Frauen rechtfertigen müssen, hält Hildegard Wolff für grundlegend falsch. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, mit diesen Vorurteilen abzuschließen: „Sie vermitteln den Frauen: Mein Recht ist ein anderes“, sagt Wolff.

Im Beratungsalltag ist sexualisierte Gewalt ein großes Tabu, so die Erfahrungen des „Impuls“-Teams: „Frauen suchen die Schuld oft bei sich und verdrängen das Geschehen – bis es nicht mehr geht.“ Zur Beratung gehöre es dann auch, gemeinsam realistisch zu prüfen, ob eine Anzeige Erfolg hat, oder „der Täter grinsend aus dem Gericht geht“, so Maria Peeters. Immerhin: Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln haben die Diskussion über sexualisierte Gewalt angeschoben: „Mehr Frauen haben sich getraut, darüber zu sprechen und Anzeige zu erstatten, das ist gut.“

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