XANTEN.    Zu Weihnachten wird das Lukas-Evangelium von der Geburt Jesu verlesen, in dem es heißt: „Sie (Maria) gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe …“ Eine „Hausgeburt“ sozusagen, wie sie auch heute noch vorkommt – Betonung auf „noch“.   Denn so wie bei Maria und Josef ist es heute nicht mehr erlaubt, ein Kind zur Welt zu bringen.  Schwangere Frauen mit Wunsch nach Hausgeburt suchen sich daher Hebammen, die Geburtshilfe leisten dürfen.

Welch ein Geschenk wenn Neugeborene das Licht der Welt erblicken Foto: nno.de
Welch ein Geschenk wenn Neugeborene das Licht der Welt erblicken
Foto: nno.de

Doch diese Suche ist inzwischen vergleichbar mit der Herbergssuche von Maria und Josef, zumindest ebenso mühselig. Denn dieser uralte Beruf  scheint vom  Aussterben bedroht. Wenn im Juli 2016 die Haftpflichtversicherung auf gut 6.800 Euro (und ab Juli 2017 auf 7.600 Euro) aufgrund des Sicherstellungszuschlages der Krankenkassen steigt,  werden weitere freiberuflich tätige Hebammen die Geburtshilfe  aufgeben.
Ans Aufgeben der Geburtshilfe denkt auch Olga Eberhardt aus Xanten, seit 33 Jahren übt sie den Hebammen-Beruf aus, seit fast 20 Jahren hat  sie  ihre Praxis in Xanten. Sie betreut rund sechs Hausgeburten im Jahr und begleitet Familien bei Klinikgeburten im Emmericher Krankenhaus als Beleghebamme.  „Meine Ausbildung hatte ich in Russland an einer großen Klinik, in der es rund 4.000 Geburten  im Jahr gab, 16 pro Schicht, eine Massenabfertigung mit OP-Charakter ohne persönliche Anteilnahme. Als ich nach Deutschland kam und die familienorientierte Geburt kennenlernte, war ich sehr begeistert“, berichtet sie.  „Schwangerschaft und Geburt sind natürliche Prozesse“, erläutert sie und sieht Vorteile in einer Hausgeburt, wenn Mutter und Kind wohlauf sind, keine Risikoschwangerschaft vorliegt oder  Komplikationen zu erwarten sind.  In vertrauter Umgebung fühlen sich Frauen meist wohler und  der Geburtsprozess wird nicht gestört. „Im Krankenhaus wird ständig kontrolliert und schnell eingegriffen. Dadurch verlieren Frauen den Kontakt zu ihrem eigenen Körper, übergeben die Verantwortung in die  Hände vom medizinischen Personal, lassen sich entbinden statt dass sie selbst gebären“, ist Olga Eberhardts Erfahrung. Sie sieht ihre Rolle als Hebamme in in der Begleitung. „Frauen sollen ohne Angst mit Ruhe und Freude gebären können, denn schließlich wird nicht nur ein Kind geboren, sondern eine Familie. Das Mädchen in der Frau stirbt, es wird zur Mama mit anderen Gefühlen und Gedanken und der Mann wird Papa“, beschreibt sie den Geburtsvorgang als großartiges emotionales Ereignis, zu dem auch Schmerzen gehören, die schnell vergessen sind.
„Ich ermutige die Frauen: Fühl dein Kind, bringe es zur Welt!“ beschreibt die Hebamme aus Berufung ihre Geburtshilfe.
Die neuen Regeln zu Hausgeburten, die nach dem Schiedsspruch vom 12. November 2015  zwischen Hebammenverbänden und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen getroffen wurden, werden dazu führen, dass es in Zukunft kaum noch Hausgeburten gibt, glaubt Olga Eberhardt und erklärt: „Zum einen ist die Haftpflichtversicherung für uns unbezahlbar, auch wenn bis zu zwei Drittel der Versicherung erstattet werden, bleibt die Vergütung der Hebamme weiterhin niedrig. Zum anderen sind Schwangere verpflichtet, bereits drei Tage nach Überschreitung des errechneten Geburtstermins  einen Arzt aufzusuchen, obwohl man weiß, dass Schwangerschaften bis zu 42 Wochen dauern können, also zwei Wochen länger als errechnet. Wenn der Arzt sich gegen eine Hausgeburt ausspricht, besteht für die werdende Mutter und für die Hebamme das Risiko  der Haftung, wenn es bei der Geburt zu einem Schaden kommt. Daher werden viele Hebammen davor zurückschrecken, die Hausgeburt zu begleiten.“
Olga Eberhardt will weiterhin Vor- und Nachsorge von Schwangeren übernehmen, doch  sie liebt an ihrem Beruf gerade auch die Geburtshilfe und freut sich über die persönliche Anteilnahme, fühlt sich, wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt „selbst wie neu geboren“.  Sie ist stolz: „Es ist ein bisschen auch immer mein Kind, da ich ja den ersten Kontakt mit dem Neugeborenen habe.“ Jetzt befürchtet sie, dass Geburten in Zukunft überwiegend in großen Kliniken durchgeführt werden und fühlt sich an ihren Berufsstart in Russland erinnert.

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