Ein Stück Dorfidentität: Das Wildgehege in Reichswalde

REICHSWALDE. Würde es eine Art von Stadtkulturerbestätten geben – das Wildgehege in Reichswalde könnte für Kleve möglicherweise dazu gehören.
Irgendwie hat sich „fast mitten im Dorf“ ein Stück Wildnis erhalten. Derzeit sind im Gehege elf Stück Rotwild zu sehen. Wer aber glaubt, dass Wildnis keine Hege und Pflege braucht, der irrt. Die Geschichte des Geheges reicht weit zurück. „Das könnten gut und gern 60 Jahre sein“, schätzt der Noch-Vorsitzende des  seit 2004 eingetragenen Vereins „Wildgehege Reichswalde“, Wolfgang Hähn. („Hähn wie Hahn – nur mit zwei Strickskes.“) Zuerst gehörte das Gehege zum Forstamt. Später wurde es von der Stadt übernommen. „Als die dann das Gehege schließen wollten, um zu sparen, gab es einen Aufschrei. Der Verein wurde gegründet, und seitdem bin ich Vorsitzender“, sagt Bauingenieur Hähn und fügt hinzu, dass an ihm eigentlich ein Bauer verloren gegangen sei. Hähn ist unsichtbare 76 Jahre alt. Der Mann ist, um Gehege-Jargon zu bleiben, noch immer ein flotter Hirsch, aber fest steht: „Ich werde bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten.“ Die Sache ist definitiv. „Nein“, sagt Hähn, „er schmeißt den Kram nicht hin, aber es ist an der Zeit, dass andere sich kümmern.“ Zurück zum Anfang: Wildnis bedeutet eben nicht, dass es mit Zuschauen getan ist. Wolfgang Hähn: „Da steckt, man darf das nicht verschweigen, eine Menge Arbeit drin, und eben die muss ja getan werden.“

Wolfgang Hähn ist seit 2004 Vorsitzender des Vereins Wilgehege Reichswalde. Jetzt wird ein Nachfolger gesucht. Hähn: „Ich werde definitiv nicht weiter machen.“NN-Foto: HF
Wolfgang Hähn ist seit 2004 Vorsitzender des Vereins Wilgehege Reichswalde. Jetzt wird ein Nachfolger gesucht. Hähn: „Ich werde definitiv nicht weiter machen.“NN-Foto: HF

Es geht um die Pflege im Gehege, es geht ums Füttern und es geht um die „Verkehrssicherungspflicht“. Wer in den Wald geht, tut das auf eigene Gefahr. Wer das Gehege besucht, soll sich, so die Vorschrift, zumindest darauf verlassen können, dass kein Totholz in den Bäumen hängt und herunterfallen kann. Versicherungsgebühren fallen an, aber in Versicherung steckt halt Sicherung.
„Wir können da nicht einfach sagen, wenn was runterkommt, zahlt die Versicherung. Das wäre dann grob fahrlässig“, erklärt Hähn. Es gibt also immer was zu tun. Abseits der Verkehrssicherungspflicht ist eine der wichtigsten Aufgaben die tägliche Fütterung der Tiere. Hähn: „Da muss jeden Tag jemand sein.“ Gefüttert wird nachmittags. Damit Regelmäßigkeit gewährleistet ist, muss es Reserven geben. „Derzeit kümmern sich zwei Gruppen um die Fütterung“, sagt Hähn und fügt mit einem Schmunzeln an: „Eine davon bin ich.“ Nein, frustriert ist Hähn nicht. Der Fortbestand des Geheges liegt ihm am Herzen. Sehr sogar. Trotzdem sagt er: „Wenn sich da jetzt nichts tut, dann sieht es nicht gut aus.“ Nicht gut ist untertrieben. Es wäre das Ende für ein Wildgehege, das sich großer Beliebtheit erfreut, aber beliebt sein allein recht eben nicht aus.
Circa 180 Mitglieder hat der Verein „Wildgehege Reichswald“. Zwölf Euro Jahresgebühr zahlt jedes Mitglied. Das sind knapp 2.200 Euro, die allerdings zur Deckung der laufenden Kosten nicht ausreichen. Hähn: „Wir haben bei der Stadt gefragt, ob die nicht wenigstens die Versicherungskosten übernehmen könnten. Die Antwort war: Nein.“ Demnächst müssen auch die Zäune um das Gehege erneuert werden. Manpower allein reicht da nicht aus. Geld muss her. Letztlich allerdings geht es nicht um Geld, denn Geld kann Engagement nicht ersetzen, und genau das wird für den Fortbestand des Geheges dringend gebraucht. „In der letzten Woche hatten wir eine Informationsveranstaltung, zu der auch rund 30 Menschen gekommen sind. Es gab da welche, die sich vorstellen können, im Team eine Lösung zu finden.“
Ein Vorsitzender muss trotzdem her. „Das Gehege ist eine tolle Sache. Es wäre doch wirklich schade, wenn es das demnächst nicht mehr geben würde.“ Die Zusammenarbeit mit der Forstbehörde sei gut, sagt Hähn. „Die unterstützen uns, wo sie können.“ Letztlich ist das Wildgehege weit mehr als vier Hektar Wald mit einem Zaun drumherum. Einmal im Jahr lädt der Verein zum Waldfest ein, zu Ostern werden Eier gesucht – kurz gesagt: Mit dem Wegfall des Geheges würde auch ein Stück Identität verloren gehen.
„Als ich das damals übernommen habe, dachte ich mir: Du hast eine Meinung – dann gehört auch Verantwortung dazu“, sagt Hähn, der sich nun wünscht, dass sich Menschen finden, die ebenso denken. „Schreiben Sie nicht: Wildgehege vor dem Aus“, sagt er. „Das klingt so negativ. Es geht um Motivation. Und es geht um den Fortbestand. Mein Wunsch ist, dass sich Leute einfinden, die es weiterführen.“Heiner Frost

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