REES. Das Bild in der Erstaufnahme-Einrichtung in Rees hat sich in den vergangenen Monaten gewandelt. Waren anfangs noch überwiegend Familien mit kleinen Kindern dort untergebracht, sind es mittlerweile viele alleinreisende junge Männer. „Das Zusammenleben auf engem Raum kann da mitunter schwierig sein“, weiß Chris Terhart, der als Freizeitpädagoge in der Einrichtung arbeitet. Seine Lösung: Mit einem Fußballklub lässt er die Flüchtlinge eine Zeit lang ihr Schicksal vergessen. Morgen kommt es zu einem Testspiel gegen die Reserve von Fortuna Millingen.

Lagerkoller kennen nicht nur Bundesliga-Profis. „Nichts ist schlimmer als Langeweile“, sagt Terhart. Denn dann kommt man schnell auf dumme Gedanken. Als Freizeitpädagoge ist es seine Aufgabe gegenzusteuern. Kamen die Flüchtlinge nach der Eröffnung der Einrichtung überwiegend aus Albanien oder dem Kosovo, stammen inzwischen viele der jungen Männer aus Syrien, Irak, Ghana, Nigeria oder Eritrea. Dort wurden sie verfolgt, viele auch gefoltert, wie Terhart weiß. „Es geht darum, die Jungs einfach mal aus der Einrichtung zu holen.“ Ein praktischer Weg: der Fußball.

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Chris Terhart, Freizeitpädagoge in der Flüchtlingseinrichtung in Rees. Fotos: Fotolia/privat
Chris Terhart, Freizeitpädagoge in der Flüchtlingseinrichtung in Rees.
Fotos: Fotolia/privat

Also gründete Terhart den FC Horizont International – mehr ein Team denn ein richtiger Klub. „Wir haben hier in der Einrichtung viele unterschiedliche Religionen und Kulturen, aber beim Fußball spielt das alles keine Rolle.“ Das geht aber nur mit klaren Ansagen seitens des Trainers. Immer wieder betont er gegenüber seinem Team, dass Unterschiede – welcher Art auch immer – auf dem Platz nicht zählen. Mit Erfolg: „Es haben sich auch Freundschaften über die verschiedenen Kulturen und Religionen hinweg gebildet.“ Von einer „nachhaltigen Wirkung“ spricht Terhart.

Trainiert wird auf der Anlage des SV Rees. Rund 30 Spieler melden sich dazu an. Sie müssen sich im Training – zu dem auch Jugendliche aus Rees kommen – beweisen, wollen sie ins Team für ein Testspiel. Amtsprache ist Englisch. Der Kulturen- und Religionen-Mix ist eine Herausforderung, „funktioniert aber erstaunlich gut“, sagt Terhart. Als „talentiert und aufwärts“ bezeichnet der Trainer seinen 16er-Kader, den er aus dem Spielerpool zusammenstellt. „Das Niveau ist schon recht hoch.“ Er selbst ist dabei nicht nur Coach, sondern auch Manager und manchmal sogar Spielervermittler. Denn: Auch ehemalige Jugendnationalspieler sind darunter, zuletzt drei aus Ghana, Syrien und Albanien. Der 25-jährige Ghanaer hat einen derart bleibenden Eindruck hinterlassen, dass Terhart Kontakt zu Arminia Bielefeld und SC Paderborn aufnahm, als der Spieler in eine Asylbewerber-Einrichtung bei Büren umzog. „Beide Klubs wollen ihn sich mal anschauen“, erzählt Terhart.

[pull_quote_left]Solche Erlebnisse saugen die Jungs auf wie ein trockener Schwamm.[/pull_quote_left]Das erste Tespiel gegen den SV Rees gewann der FC Horizont mit 4:2. „Solche Erlebnisse saugen die Jungs auf wie ein trockener Schwamm“, hat Terhart beobachtet. Sie vergessen dabei ihre Vergangenheit, spielen völlig befreit auf, „sie können sich zeigen, werden ernst genommen“. Entsprechend groß war der Jubel nach dem Sieg. Was Terhart wirklich faszinierte: „Man hat gesehen, dass sich die Reeser Spieler für unsere Jungs freuen, dass die sich freuen.“ Nun steht morgen das nächste Testspiel für den FC Horizont Int. an, ab 15 Uhr heißt der Gegener Fortuna Millingen II. „Der Verein macht daraus ein richtiges Event“, freut sich Terhart, der selbst in Millingen wohnt und das Spiel gemeinsam mit Fortuna-Geschäftsführer Nicolas te Baay initiiert hat. „Mit diesem Spiel möchten wir den Bewohnern der Einrichtung in Rees eine Freude bereiten, den schwierigen Alltag für ein paar Stunden zu vergessen und eine Willkommenskultur zu entwickeln und zu fördern“, erklärt der 1. Vorsitzende Heinz Lukkezen.

[quote_box_left]Fortuna – FC Horizont
Anstoß auf der Anlage an der Bruchstraße 24 in Millingen ist um 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Speisen und Getränke werden zu reduzierten Preisen verkauft, der Erlös kommt der Flüchtlingseinrichtung zugut.
Fortuna Millingen vermittelt die Weitergabe von Fußball- und Sportschuhen, Trikots und Sport­hosen, die noch nutzbar sind.[/quote_box_left]Die Partie ist offiziell beim DFB angemeldet, Fortuna stellt mit David Wendland und den Assistenten Torben Ruitter und Tobias Meßink ein Schiedsrichter-Gespann. Das Busunternehmen von Mulert stellt einen Bus zur Verfügung, der die Bewohner von der Einrichtung zum Sportplatz nach Millingen bringt. Die Volksbank Emmerich-Rees stellt für die Mannschaft einen kompletten Trikotsatz zur Verfügung. Das Testspiel hat für Terhart aber auch noch eine ganz andere Funktion: „Es geht weniger um Integration als vielmehr um Transparenz. Die Leute sollen sehen: Die Menschen in dieser Einrichtung sind nicht so viel anders als wir. Auch sie freuen sich über Tore und Siege. Sie spielen Fußball wie wir.“ Chris Terhart ist überzeugt, dass es nicht die letzte Partie des FC Horizont sein wird. „Andere Vereine haben schon signalisiert, dass es auch während der Saison Spielpausen gibt, in denen man ein solches Testspiel ansetzen kann.“

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