„Demokratie ist ein zarter, dünner Lack“

Autorin und Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal hält vor insgesamt 800 Schülern einen Vortrag über Demokratie

GELDERN. Für die in Hannover geborene Jesidin Düzen Tekkal war Demokratie immer eine Selbstverständlichkeit. Bis sie 2015 nach Mossul reiste und „einen Ort des Grauens” vorfand. Über ihre Erfahrungen vor Ort, und wie ihr Engagement ihr Leben veränderte, berichtet sie jetzt bei einer Schulveranstaltung der Volkshochschule Gelderland in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Mit gemischten Gefühlen steht die Jesidin jetzt wieder genau an dem Ort, an dem früher ihre Laufbahn begonnen hat: in einer Schule: „Einerseits habe ich in der Schule große Förderungen erfahren, aber auf der anderen Seite war es teilweise auch ein Kampf gegen Windmühlen”, berichtet Tekkal, die gemeinsam mit zehn Geschwistern in Hannover aufgewachsen ist. Mit der Frage nach ihrer Herkunft kam Tekkal zum ersten Mal in der Schule in Kontakt: „Alle erzählten von ihrem Heimatland, aber geografisch gesehen gibt es kein Kurdistan”, so die Kurdin. Nur weil es das Land jedoch geografisch nicht gebe, heißt es noch lange nicht, dass Tekkal heimatlos ist: „Emotional gesehen gibt es Kurdistan”, so die Autorin.

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Düzen Tekkal hält vor knapp 800 Schülern einen Vortrag über ihre Erlebnisse. NN-Foto: Dickel

Deshalb war für die Journalistin auch schnell klar, dass sie genau dort hin muss, in ihre Heimat, als sie die ersten Bilder des Vormarsches der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Norden des Iraks 2014/15 sah. Trotz Warnungen und Bedenken vieler Freunde und Bekannte hat Tekkal sich 2015 auf den Weg nach Mossul gemacht. Wie gefährlich diese Reise wirklich für sie ist, wird der Hannoveraner-in bewusst, als sie im Flugzeug sitzt und sämtliche Lichter ausgemacht werden. Auf die Frage nach dem Grund antwortet ihr die Stewardess: „Damit wir nicht abgeschossen werden.” Was die Journalistin vor Ort sah, prägt sie bis heute: „Mütter wurden umgebracht, Väter enthauptet und Kinder vergewaltigt. Von da an habe ich nur noch funktioniert.” Dort mitten an der Front habe Tekkal für sich gemerkt, „wie wichtig eine Demokratie ist.” Dabei geht es Tekkal nicht nur um die Jesiden: „Es geht vor allem darum, was Menschen mit anderen Menschen machen – egal welcher Herkunft.”

In der heutigen Zeit nimmt Tekkal eine Veränderung in der Gesellschaft wahr, die ihr Kopfzerbrechen bereitet: „Mittlerweile ist es wieder total wichtig, wo man herkommt, das war vor zehn Jahren noch nicht so”, erklärt Tekkal den anwesenden Schülern, die konzentriert dem Vortrag der Journalistin zuhören. Gerade deshalb hält sie diese Vorträge und will die Schüler sensibilisieren, denn „die Demokratie ist ein zarter, dünner Lack, den ihr verteidigen müsst.”

Das letzte Mal war Tekkal vor vier Monaten in ihrer Heimat und war erschüttert: „Jetzt kriegen wir die Ergebnisse des Terrors zu sehen: Zehnjährige die damals vergewaltigt wurden und heute Mütter sind.” Die Probleme und Zustände, die Tekkal in den Jahren im Irak sah, machen sie nachdenklich: „Wenn man das alles gesehen hat, wird man demütig und Angst und Mut bekommen eine vollkommen neue Bedeutung.” Tekkal appelliert auch an das Verständnis für die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen: „Niemand kommt von denen freiwillig”, so die Kriegsberichtserstatterin. Deshalb rät Tekkal dazu, Menschen niemals vorzuverurteilen, sondern mit ihnen ins Gespräch zu gehen: „Geht auf die Menschen zu und redet mit ihnen”, appelliert sie an die Schüler.

Dass sie selbst aufgrund ihrer Meinungsäußerungenn im Fadenkreuz des IS steht, weiß die Journalistin nur zu gut: „Ich habe Briefe mit Foto von enthaupteten Köpfen und der Warnung ‚Pass auf‘ bekommen”, so die Jesidin. In solchen Momenten hinterfrage sie ihr Tun zwar, aber „es zulassen wäre keine Option.” Die Jesiden besitzen zwar keine heilige Schrift, für Tekkal hat das deutsche Grundgesetz aber den gleichen Stellenwert. „Natürlich brauchen wir aber auch ein Commitment, was über das Grundgesetz hinaus geht – Werte müssten im Unterricht vermittelt werden”, so die Journalistin. Deshalb fordert Tekkal abschließend, dass Schüler nicht nur in Mathe und Deutsch gebildet werden sollten, „sondern vor allem auch in Herzensbildung.”

 

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