„Das ganze Unternehmen
war auf Abzocke ausgelegt“

Zeugen berichteten beim „Schlüsseldienst-Prozess“ von dubiosen Geschäftsmodellen

GELDERN/KLEVE. Die Frage vom Anwalt des 39-jährigen Angeklagten im „Schlüsseldienst-Prozess” vor dem Klever Landgericht (die NN berichtete) überraschte. „Halten Sie meinen Mandanten für einen Betrüger?”, fragte er eine 32-jährige Issumerin. Die Hausfrau musste nicht lange überlegen: „Ja. Meines Erachtens nach schon”, lautete ihre eindeutige Antwort nachdem sie bereits sehr emotional ausgesagt hatte.

Bis voraussichtlich Juli läuft der Prozess gegen die beiden Angeklagten (l. und 2. v.r.) vor dem Klever Landgericht. NN-Foto: SP

Den beiden Angeklagten, einem 39-jährigen Weezer und einem 57-Jährigen aus Geldern, wird unter anderem (bandenmäßige) Steuerhinterziehung und Betrug sowie Wucher in über 1000 Fällen vorgeworfen. Nachdem die beiden Angeklagten bereits in ihrer Aussage beziehungsweise über ihre Anwälte ihre Unschuld beteuerten, sagten nun erste Mitarbeiter des in Geldern ansässig gewesenen Unternehmens für Schlüsseldienst-Leistungen aus – darunter die 32-jährige Issumerin.

-Anzeige-

Sie sei ab September 2007 beim Unternehmen als Callcenter-Mitarbeiterin angestellt gewesen. Als solche habe sie die Telefon-Anrufe der Menschen entgegengenommen, die sich ausgeschlossen hatten und einen Schlüsseldienst benötigten. Das seien allerdings nicht die einzigen Anrufe gewesen. „Es gab zusätzlich noch eine sehr teure Service-Nummer, die angerufen wurde, wenn jemand Infos suchte”, sagte die Issumerin. Die Infos hätten die Callcenter-Mitarbeiter dann gegoogelt. Bezahlt bekommen hätten sie das jedoch nicht.

„Anfangs habe ich ein Festgehalt von 1.100 Euro bekommen. Später war es dann ein Festgehalt von 500 Euro plus zwei bis drei Prozent Provision von den Anrufen”, sagte sie. Es hätten jedoch nur die Schlüsseldienst-Anrufe gezählt, nicht die für die Auskunft.

Auch zu den weiteren Vorgehensweisen bei den für die Schlüsseldienste bestimmten Anrufe aus ganz Deutschland machte die Issumerin Angaben. Zu Beginn hätte sie eine Notdienstpauschale von 69 Euro plus Anfahrt am Telefon nennen dürfen. „Nachher wurden wir von den beiden Chefs angehalten, keine Preise mehr zu nennen und stattdessen zu sagen, dass sich das der Monteur vor Ort anschaut”, sagte die ehemalige Mitarbeiterin vor Gericht.

Nach einem Anruf habe sie einem Monteur den Auftrag erteilen müssen. „Dazu wurden uns am PC die Monteure in der Umgebung angezeigt”, so die 32-Jährige. Frei in ihrer Entscheidungswahl sei sie allerdings keinesfalls gewesen. „Wir wurden von den beiden Chefs angehalten, den Monteur mit dem höchsten Umsatz zu nehmen, auch wenn der weiter vom Einsatzort entfernt war”, sagte die Issumerin, die das aber nicht immer beherzigt habe. Sie habe das schlichtweg nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können.

Unter Tränen berichtete die Zeugin dann noch von einem Unternehmen, das auf ihrem Namen angemeldet wurde. Alles sei damit angefangen, dass sie überredet wurde, Handelsregistereinträge unter ihrem Namen zu schalten, um die Werbung voranzutreiben. Dem habe sie blauäugig zugestimmt. Durch einen falsch adressierten Brief der IHK stellte sie jedoch fest, dass auf ihrem Namen ein Gewerbe angemeldet war, für das deutschlandweit im Internet und in Telefon-Büchern geworben wurde. „Dabei hatte ich nichts unterschrieben”, sagte die 32-Jährige, die sich das nur wie folgt erklären konnte: „Ich gehe davon aus, dass meine Unterschrift gefälscht wurde.”

Im März 2009 kündigte die Issumerin ihre Stelle als Callcenter-Agentin, weil es immer mehr Probleme gegeben habe. Seither kämpfe sie darum, dass die Einträge des Unternehmens, das auf ihren Namen angemeldet wurde, aus dem Internet verschwinden. „Aber das ist super schwierig”, so die Hausfrau.

Ähnliches berichtete auch ein 30-jähriger Zeuge dem Klever Landgericht. Er arbeitete ebenfalls für das Unternehmen für Schlüsseldienstleistungen, bevor er aus für ihn nicht nachvollziehbaren Gründen gekündigt wurde. Vor Gericht erstritt er eine Abfindung und ging – nach dem er von den Vorwürfen gegen die Angeklagten aus der Zeitung erfahren habe – mit zahlreichen Unterlagen zur Staatsanwaltschaft. „Das ganze Unternehmen war auf Abzocke ausgelegt”, fand auch er deutliche Worte.

Dubios erschien auch die Vorgehensweise bei der Gründung einer Immobilien-Verwaltungs-Firma, von der ein Buchhalter dem Gericht erzählte. Er sei zwar als Geschäftsführer eingetragen gewesen, aber ausgeübt habe er die Funktion nie. „Ich wollte den Angeklagten einen Gefallen tun. Das war wohl blauäugig”, sagte der 35-jährige Gelderner.

Vorheriger ArtikelStadtbücherei modernisiert
Ausleihe und Buchsicherung
Nächster ArtikelRappende Lehrer und musikalische Schüler zu Besuch im Café Varieté