„Das einfache Singen ist die Muttersprache des Menschen“

Winfried Kocéa, der Generationen von Sängern und Schülern prägte, wird 85

XANTEN. Vor genau 46 Jahren entschied sich eine Schülerin am Xantener Stiftsgymnasium dafür, die letzten Jahre bis zum Abitur das Fach Musik statt Kunst zu belegen. Der Grund: ein fantastischer Musiklehrer, der die Schüler begeisterte und sie sich auf jede Musikstunde freuen ließ. Sein Name: Winfried Kocéa. Heute sitzt genau diese Schülerin ihrem damaligen Musiklehrer gegenüber und darf kurz vor seinem 85. Geburtstag einen Rückblick auf sein unglaubliches Leben und Wirken verfassen – ein Leben, in dem von Kind an Musik die Hauptrolle spielte.

An seiner eigenen Orgel, für die in seinem Haus extra ein Orgelzimmer gebaut wurde, ist Winfried Kocéa nach wie vor in seinem Element. NN-Foto: Ingeborg Maas
An seiner eigenen Orgel, für die in seinem Haus extra ein Orgelzimmer gebaut wurde, ist Winfried Kocéa nach wie vor in seinem Element.
NN-Foto: Ingeborg Maas

In einer Homage zum 85. Geburtstag, den der gebürtige Wardter Winfried Kocéa am 4. Mai feiert, beschreibt Dr. phil Karl Adamek, Gründer der Deutschen Stiftung Singen und Ini­tiator des Singprogramms für Kindergärten „Canto elementar“ das Wirken von Winfried Kocéa. Einleitend schreibt Adamek: „Jeder in Deutschland konnte wahrscheinlich schon die vielfältigen Früchte seiner kulturellen Arbeit – ohne es zu wissen –  genießen. Sein Wirken hat unser aller Alltag bereichert und zur kulturellen Vielfalt beigetragen, die wir heute selbstverständlich leben. Er hat mit seinem Wirken auch eine bedeutsame Spur für die nächsten Generationen gelegt“. Und weiter: „Seine bahnbrechenden Aktivitäten vor allem für Kinder und Jugendliche könnten Bücher füllen…. Er hat die deutsche Kulturlandschaft über 50 Jahre lang maßgeblich auch immer wieder mit avantgardistischen Chorexperimenten befruchtet, die uns heute selbstverständlich erscheinen.“
Für seinen Umgang mit experimenteller Musik nannte man ihn 1968 beim Chorfest in Essen noch den Totengräber des Chorgesanges, doch davon ließ sich ein Winfried Kocea nicht abhalten, seinen Weg fortzusetzen. Er war seiner Zeit immer ein wenig voraus und es dauerte etwas, bis man erkannte, was dieser Mann mit seiner hingebungsvollen Liebe zur Musik und zum Chorgesang und vor allem mit seiner mitreißenden Art alles bewirken konnte.
In Xanten hat man es zu spät erkannt. Die erste Jugendkunstschule, die Winfried Kocea 1972 in Wanne-Eickel eröffnete, die hätte auch in Xanten stehen können. Denn der heute noch in Wardt lebende Musiklehrer wollte diese Schule damals in seinem Heimatdorf errichten – fand aber keine Unterstützung. Heute gibt es nach dem Vorbild dieser ersten Schule, in der alle Künste – malen, schauspielern, singen, musizieren – innerhalb eines offenen Konzeptes zur Persönlichkeitsbildung vermittelt werden, allein in NRW über 200 Jugendkunstschulen. Die Besonderheit dieser Schulen war es immer, dass dort talentierte Musiker aus anderen Ländern auch ohne ein Musikexamen Kurse anbieten konnten. Ein Afrikaner gab Trommelkurse, ein Lateinamerikaner Gittarrenkurse und freie begabte Theatermacher oder bildende Künstler ohne Examen durften unterrichten. Hundertausende konnten so an den Jugendkunstschulen davon profitieren und Kunst in ihrer Gesamtheit und ohne Grenzen von Nationalitäten erfahren. „Ich wollte die Schüler im musikalischen Bereich aus der Enge und Einseitigkeit einer Sing- und Schulmusik herausführen“ sagt der 84-Jährige zu dem, was ihn stets angetrieben hat.
Doch bei allem Experimentellen war es im vor allem wichtig, „ehrliche“ Musik zu machen. „Jeder Mensch kann singen“ ist sein Credo. „Doch dafür muss man das Können auf eine gute Basis setzen. Dazu gehört die richtige Atmung, der Ausdruck, die deutliche Bildung der Vokale und vieles mehr. Man muss lernen, die ganzen Organe seines Körpers richtig zum Singen einzusetzen.“ Seiner Meinung nach leiden viele Chöre darunter, dass dieses Fundament der gründlichen Ausbildung fehlt.
Seinen unzähligen Chören, die er im Laufe seines Lebens leitete, hat Winfried Kocéa diese Basis gründlich vermittelt. Ob Frauen-, Männer-, Kinder-, Werks- oder Kirchenchöre – alle ließen sich von ihrem zwar strengen, aber doch so mitreißendem Chorleiter motivieren. Winfried Kocéa war Bundesjugendchorleiter, initiierte den Chorwettbewerb „Jugend singt“, gründete die Deutsche Sängerjugend, führte zahlreiche Konzerte auf, in denen er auch die unterschiedlichsten Chorgruppen zusammenführte, er bildete Chorleiter nach seinem eigenen innovativen Konzept aus, führte nach seiner Pensionierung das Programm „Die singende Grundschule“ in sozialen Brennpunkten durch, motivierte ganze Lehrerkollegien zum Singen und, und und… Unmöglich, an dieser Stelle einen kompletten Überblick über das zu geben, was Winfried Kocéa geschaffen und bewirkt hat. Denn für den Vollblutmusiker hat kaum ein Satz so viel Gültigkeit besessen wie der des weltberühmten Geigers Sir Yehudi Menuhin: „Das Singen ist  die eigentliche Muttersprache des Menschen.“
Heute muss Winfried Kocéa aus gesundheitlichen Gründen seine Aktivitäten stark einschränken. Nur ab und zu fährt er an die Grundschule in Herne, um dort mit Kindern zu bestimmten Anlässen wie zur Begrüßung neuer Schüler oder zu Festen und an Weihnachten zu singen. Und nur noch selten setzt er sich zum Spielen in seinem Haus in Wardt an seine Orgel. Seinen Geburtstag wird Winfried Kocea am 4. Mai im Familien- und Freundeskreis feiern – und das garantiert nicht ohne Musik.

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