Verzeihen ist ein fremder Ort

In der JVA Geldern-Pont fand ein Gespräch über Schuld und Verzeihen statt

GELDERN. Es gibt Worte mit großer Bedeutung und Wortpaare, die fast jeder kennt: „Schuld und Sühne“ ist eines dieser Paare. Was passiert eigentlich, wenn „Sühne“ durch „Verzeihung“ ersetzt wird?

Das Podium (v.l.n.r.): Cornelia Zander (Bewährungshelferin und Zeugenbetreuerin), Jörg Werner (Leiter des Amtsgerichts Kleve), Hartmut Pleines (Moderator und evangelischer Anstaltsseelsorger) und Häftling Oualid, der mittlerweile im offenen Vollzug lebt und darum bat, auf dem Bild nicht erkennbar zu sein. NN-Foto: HF
Das Podium (v.l.n.r.): Cornelia Zander (Bewährungshelferin und Zeugenbetreuerin), Jörg Werner (Leiter des Amtsgerichts Kleve), Hartmut Pleines (Moderator und evangelischer Anstaltsseelsorger) und Häftling Oualid, der mittlerweile im offenen Vollzug lebt und darum bat, auf dem Bild nicht erkennbar zu sein. NN-Foto: HF

Juristen beschäftigen sich mit dem Begriff der Schuld. Schuld wird – vor Gericht – mit Strafe „beantwortet“. Das Wort „Verzeihung“ kommt im Strafgesetzbuch nicht vor. Verzeihung findet andernorts statt – ist gewissermaßen ausgelagert und trotzdem nicht weniger fundamental. Weder Richter noch Anwälte müssen verzeihen. Schuld und Sühne kann man mit dem Verstand beikommen.

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Verzeihung fordert immer auch die Seele – den Kern und kann nur in einem „Dialog“ zwischen Tätern und Opfern stattfinden. Was aber, wenn das Opfer nicht mehr lebt? Kann ein Mensch sich selbst verzeihen? Entschuldigung setzt ein Gegenüber voraus. Um Entschuldigung kann nur gebeten werden. Verzeihung kann auch eine Selbsterlösung sein – ein Startpunkt: Für Täter und Opfer.

Was also bedeutet Verzeihen? Grund genug, sich darüber Gedanken zu machen – gewissermaßen „vor Ort“. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Geldern Pont ging es um eben dieses Thema: Schuld und Verzeihen. Zu der öffentlichen Veranstaltung waren Gastredner eingeladen. Sibylle Karrer (evangelische Pastorin), Cornelia Zander (Bewährungshelferin und Zeugenbetreuerin aus Kleve), Jörg Werner (Direktor am Amtsgericht Geldern) und Oualid, ein Ex-Insasse der JVA Geldern, der mittlerweile im offenen Vollzug lebt – auf dem Weg zurück ins Leben. In einer ersten Runde sprachen die Gäste jeweils kurz zum Thema Schuld und Verzeihung. Nach einer Pause ging es dann um Fragen des Publikums: Setzt Verzeihen Reue voraus? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Sühne und Rache? Kann sich ein Mensch selber verzeihen? Wem muss einer verzeihen, der unschuldig in Haft saß? Sibylle Karrer sah den Unterschied zwischen Sühne und Rache in der Richtung: „Rache blickt zurück, Sühne ist nach vorn gerichtet“ und traf damit die „moderne Idee“ des Vollzuges, bei dem es nicht um das Rückwarts/Rache (repressiv) sondern um das Vorwärts/Wiedereingliederung (präventiv) geht.

Wie schnell man den Bereich der Sprachlosigkeit streift, offenbarte die Frage, wem ein zu Unrecht verurteilter Mensch verzeihen kann. Vollzug, so hieß es, gehe davon aus, dass diejenigen, die einsitzen zu Recht einsitzen. Oft schon hat man von Gerichten gehört, denen im Fall der Fälle eine Bitte um Entschuldigung meist nicht über die Lippen kommt.

Oualid jedenfalls war der Ansicht, dass, wer nicht bereut, auch keine Chance hat, sich zu ändern und einen neuen Start zu schaffen. Eindrucksvoll der Kommentar eines Gefangenen: „Wenn ich nicht hier im Knast wäre, wäre ich längst tot. Früher habe ich mich als das Opfer gefühlt. Die anderen waren die Schuldigen. Erst hier habe ich gelernt, dass Menschen mich nicht fallen lassen, dass man mir zuhört.“ Ein eindrucksvolles Plädoyer für den Sinn des Vollzuges. Kann man – so eine andere Frage – einem Atheisten verzeihen? Man kann. Verzeihung ist kein Gottesmonopol. Verzeihen ist ein wesentlichen Bestandteil des sogenannten Täter-Opfer-Ausgleichs, ddesen Ziel die Versöhnung von Täter und Opfer ist. „Das geht aber nicht auf Bestellung. Man kann das nicht anordenen. Manchmal braucht das Verzeihen sehr viel Zeit“, so Cornelia Zander. Für viele Opfer sei ein Prozess der Weg, Wunden zu schließen, „nicht zuletzt, weil ein Prozess auch Hintergründe offenbart“. Eine Geschichte sei ihr, so Zander, in Erinnerung geblieben. Eine alte Frau traf vor Gericht auf den Täter, der ihre Rente gestohlen hatte, sah in an, ging auf ihn zu und sagte: „Jung‘ – musse nich‘ mehr tun. Mach‘ se nur dein Leben mit kaputt.“

Verzeihen ist ein fremder Ort, wenn es um das Leben und den Tod von Freunden und Angehörigen geht – das war nur eines der „Ergebnisse“ eines spannenden Abends. Niemand weiß, wer diesen Ort zuerst betritt, wie lange es dauert, bis einer die Tür öffnet oder ob es überhaupt je möglich ist. Manchmal, so eine weitere Erkenntnis, gehört zur Heilung nicht nur das Verzeihen der anderen. Sich selbst zu verzeihen gehöre in jedem Fall auch dazu, so einer der Gefangenen aus dem Publikum.

„Vollzug“, so Oualid, „hat immer viel mit Vorurteilen zu tun. Wir alle haben solche Vorurteile. Auch ich habe sie. Worum es am Ende geht, ist Hilfe.“ Und zum Richter gewendet die Frage: „Würden Sie jemanden einstellen, der gerade aus dem Knast kommt?“

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