Kinder sind in der neuen Lernkultur gut angekommen

Das erste Halbjahr ist ‘rum: Die Freie Gesamtschule „Facettenreich“ in Sevelen ziehen positive Bilanz

SEVELEN. Schuhe aus, Pantoffeln an. Wer ins Facettenreich kommt, merkt direkt, dass es hier anders zugeht als an anderen Schulen. Tina Liehr und Olaf Peim haben die Freie Gesamtschule Facettenreich in Sevelen aus persönlicher Leidenschaft und der tiefen inneren Überzeugung gegründet, „dass Schulen kindgerechte, menschenfreundliche und potentialentfaltende Orte sein müssen“. Hier gibt es keine Tafeln, dafür einen Hund, zwei Kaninchen und drei Meerschweinchen. Lehrer heißen Lernbegleiter und Unterricht wird zu „Individueller Lernzeit“. Am Freitag geht das erste Halbjahr für die fünfte Klasse im Facettenreich zu Ende.

Die wohl schönste Zwischenbilanz zieht Nike: „Wenn ich morgens aufstehe, freue ich mich schon auf den Tag und die Schule.“ Auch Tina Liehr schaut zufrieden auf die ersten Monate nach dem Schulstart zurück: „Wir sind total erstaunt und glücklich: Es ist noch besser angelaufen als wir erwartet haben. Die Kinder sind schnell in der neuen Lernkultur angekommen.“ Olaf Peim ergänzt: „Es ist schön zu sehen, dass viele Kinder durchstarten und mehr arbeiten als vorgesehen.“ 32 Mädchen und Jungen gehen in die fünfte Klasse der Freien Gesamtschule. Neben den beiden Schulgründern gehören sieben weitere Lernbegleiter  zum Team.
12850417SevelenFacettenreich_InternetDer Facettenreich-Tag beginnt gemütlich. Zwischen 7.30 und 8.30 Uhr können die Kinder ankommen, in der Pausenhalle spielen oder in der Mensa frühstücken. Dann geht es in den „Kreis“, die gemeinsame Morgenrunde, wo alle zu Wort kommen können mit ihren Plänen, Wünschen und Sorgen für den Tag. Nach dem Kreis teilen sich die Kinder in die beiden Mentorengruppen von Tina Liehr und Olaf Peim auf. Die Kurse Deutsch und Englisch stehen heute auf dem Plan. Bis zum gemeinsamen Mittagessen um 12 Uhr haben die Mädchen und Jungen Gelegenheit, in der individuellen Lernzeit (ILZ) ihre Aufgaben eigenverantwortlich zu bearbeiten. Natürlich gelten auch im Facettenreich Lehr- und Bildungspläne. Nur den Ablauf gestalten die Kinder mit Unterstützung ihrer Lernbegleiter selbst und erstellen freitags ihr Wochennavi mit konkreten Zielen und Arbeitsaufträgen für die kommende Woche.

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12840417SevelenFacettenreich_Internet„Sucht Euch einen guten Arbeitsplatz“, empfiehlt Tina Liehr. Gerade noch hat sie mit ihrem Deutsch-Kurs am großen Tisch in der Märchenwerkstatt gesessen und die Schwerpunkte für diesen Vormittag besprochen. Jetzt liegt Maurice gemütlich auf dem Sofa, um „Schneewittchen“ zu lesen. Henri sitzt konzentriert an seinem Schreibtisch, den er selbst mit kleinen Holzregalen und -fächern gestaltet hat. Stella tippt ihren Aufsatz an einem der PC-Arbeitsplätze. Ihre Pause nehmen die Kinder, wann sie es möchten. 20 Minuten „Flitzepause“ haben sie, in denen sie lesen können, Tischtennis spielen oder nach draußen gehen. Tina Liehr: „Die Kinder wissen, wie weit sie gehen dürfen und können sich während ihrer Pause auf dem ganzen Gelände frei bewegen.“

12890417SevelenFacettenreich_InternetWährend die anderen in der ILZ sind, bereiten immer vier Kinder im Hauswirtschaftsunterricht das Mittag­essen für 35 Leute zu. Rosmarin-Kartoffeln, Rührei und Rote Grütze soll es heute geben. „Wir sind eine Bio-Schule“, erzählt Marius. Denn im Facettenreich kommen hauptsächlich Bio-Lebensmittel auf den Tisch. Und im neuen Schuljahr soll ein eigener Schulgarten entstehen. Hier können die Kinder ihre Erfahrungen aus der Forscherwoche auf dem Jugendbauernhof Hardehausen einbringen. Lernen im Facettenreich ist ganzheitlich. Und so bauen die Kinder beispielsweise ihre Möhren selbst an, ernten sie und verarbeiten sie schließlich in der Schulküche. Sie werden zu Experten in den verschiedensten Bereichen, in Technik genauso wie in Musik, Sport, Kunst oder Religion. Dafür gibt es die Workshops und Forschergruppen, mit denen es nach der Mittagspause weitergeht. Der Unterricht endet um 15 Uhr und bis 16 Uhr können die Kinder in der Schule bleiben.

Maurice und Flo freuen sich schon auf ihre kleinen Lieblinge. Sie sind Experten in der Tiergruppe und kümmern sich jeden Tag um die beiden Kaninchen Rucola und Jule und die drei Meerschweinchen Maggy, Strolch und Lucy. Yannick ist stolz auf sein Lego-Projekt. Er baut gerade die neue Turnhalle nach. „Das läuft super, aber wir brauchen noch mehr Steine“, erzählt er und hofft auf Lego-Spenden. Es gab auch schon eine Spiele- und eine Raketenwerkstatt, es wurden Thermometer gebaut. Olaf Peim: „Die Kinder hier haben neben den Kursen und Workshops die Möglichkeit zum freien Forschen.“ Und so setzt sich auf verschiedenen Ebenen und immer mit größtmöglichem Praxisbezug die neue Lernkultur im Facettenreich zusammen.

12870417SevelenFacettenreich_InternetAngst vor den Halbjahreszeugnissen muss im Facettenreich niemand haben. Auch hier bekommen die Kinder eine Beurteilung, die heißt von Klasse fünf bis zehn allerdings Lernabschnittsbericht. Das ist ein vier- bis fünfseitiges individuelles Dokument. Nike erklärt: „In dem Zeugnis steht, was ich gemacht und woran ich teilgenommen habe. Wenn man in einem Kurs nicht so gut ist, aber richtig viel Gas gegeben hat, steht das da drin. Bei Noten ist das ja nicht so.“ Erstellt werden die Ziffernzeugnisse auch. Aber die Eltern haben die Wahl, ob sie diese einsehen möchten. „Diese offene Bewertungsform ist unserer Meinung nach viel kindgerechter und effektiver“, ist Tina Liehr überzeugt. Denn grundsätzlich gilt im Facettenreich: „Wir üben mit den Kindern so lange, bis sie ein Ziel erreicht haben. Es nicht zu erreichen, steht nicht zur Disposition.“ Die Anmeldezahlen für das neue Schuljahr belegen, dass sich immer mehr Eltern für die neue Lernkultur interessieren. Tina Liehr: „Wir haben zweimal mehr Bewerbungen erhalten als wir Plätze anbieten können. Eine Zweizügigkeit wollen wir aber nicht. Nur so können wir die individuelle Begleitung der Kinder gewährleisten.“N. Meyer

 

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