Retro und Jugenderinnerung:
    Vierte Lan-Party im Radhaus

    Es geht auch mal ohne Internet: Gemeinsames Spielen im lokalen Netzwerk

    KREIS KLEVE. Noch lässt sich nur erahnen, was in dieser Nacht im Radhaus vorgehen wird. Ein dickes Kabelbündel liegt auf dem großen Tisch aus Bühnenelementen. Darauf steht ein einzelner Computer, der verloren und einsam wirkt. „Um 18 Uhr ist erst Aufbau. Da ist noch nicht viel los“, erzählt Stefan (30), Mitarbeiter des Radhauses in Kleve und Organisator der Lan-Party, die gerade vorbereitet wird. In ein paar Stunden sind hier 20 Computer im Betrieb.

    Stefan spielt gerade „Anno“, ein Spiel, bei dem vor allem viel strategisches Geschick gefagt ist. NN-Foto: Rüdiger Dehnen
    Stefan spielt gerade „Anno“, ein Spiel, bei dem vor allem viel strategisches Geschick gefagt ist.
    NN-Foto: Rüdiger Dehnen

    Lan-Partys haben den Zenit ihrer Popularität überschritten. Das wissen auch die Teilnehmer im Klever Radhaus, die sich nach Möglichkeit einmal vor Karneval und einmal im Oktober zu einem solchen Event einfinden. „Es gibt nicht mehr so viele Lan-Partys wie zu Hochzeiten“, berichtet etwa Stefan. „Letztes Jahr hatten wir einen Mitarbeiter, der gefragt hat, was denn überhaupt so eine Lan-Party sei.“
    Spaß haben die 20 Teilnehmer dennoch reichlich. Spiele wie Warcraft 3, Civilisation, Counterstrike, Flatout,

    -Anzeige-

    Empire Earth, oder auch Unreal Tournament machen die Nacht zum Tag. Meist spielt die eine Tischhälfte gegen die andere Tischhälfte – aus dem ganz einfachen Grund, dass so niemand auf den Monitor des Gegners schauen und sich einen Vorteil verschaffen kann.

    Den klassischen Vorurteilen entspreche die Lan-Party im Radhaus nicht, gibt Stefan zu verstehen: „Wenn wir zwölf Stunden hier sitzen, reden wir viereinhalb Stunden über Hardware und Privates. Es ist nicht das typische Klischee.“ Man spiele nicht nur, man zeige sich gegenseitig Tricks und lerne viel Technisches. Gerade die soziale Komponente spiele eine wichtige Rolle. „Es ist schön, die Leute, die man eigentlich nur aus dem Internet kennt, persönlich kennenzulernen“, schwärmt Stefan. Auch Boris (42) stimmt dem zu: „Es ist einfach mal eine schöne Abwechslung.“ Daher hält man die Lan-Party bewusst in einem kleinem Rahmen, es soll bei ungefähr 18 Spielern bleiben. „Dann ist es ein bisschen familiär“, sagt Boris. Von den Events in größeren Städten könne man dies nicht mehr behaupten. Teilweise weisen diese Lan-Partys 300 bis 400 Teilnehmer auf.

    Die meisten spielen heute über das Internet mit Freunden. Durch die große Bandbreite, die normalerweise zur Verfügung steht, ist das kein Problem mehr. Amerikaner können sich mit Asiaten verbinden und Europäer mit Australiern. Daher werden die Spiele immer weniger, die überhaupt einen Lan-Modus anbieten. „Du brauchst Lan-Partys durch das Internet nicht mehr. Früher war das Online-Spielen aufgrund mangelnder Bandbreite oft nicht möglich“, bestätigt Boris.  „Es ist schon fast eine Kindheitserinnerung.“ Auch für Stefan steckt viel Erinnerung dahinter: „Retro und Jugenderinnerung ist es definitiv.“

    Verloren gehen wird das Prinzip der Lan-Party aber nicht so schnell. Es wurde lediglich auf die große Bühne gehievt. „Das, was früher die Lan-Partys waren, ist heute der E-Sport“, weiß Stefan. E-Sport dürfte vor allem der älteren Generation kaum ein Begriff sein, dabei ist er stark im Kommen. Das Prinzip ist dem der Lan-Party sehr ähnlich, nur treten professionelle Teams gegeneinander an – mitunter vor großem Publikum. Nimmt man das Counterstrike-Tunier, welches die ESL (Electronic Sports League) 2015 in Köln ausgerichtet hat, als Beispiel, werden die heutigen Dimensionen klar: Mehr als 10.000 Zuschauer sahen das Event live vor Ort in der Lanxess-Arena, während noch einmal bis zu 1,3 Millionen den Online-Stream am heimischen PC verfolgten.

    Boris weiß die Entwicklung zu erklären: „Die Spieleindustrie hat es kommerzialisiert, um mit den gängigen Klischees aufzuräumen.“ E-Sport sei durchsichtiger und greifbarer für die Öffentlichkeit, da es nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinde. So werde deutlich, dass Gaming  absolut nichts mit dem Klischee der „Kellerkinder“ oder gar den Amoklauf-Vorurteilen zu tun habe.

    Der Charme der Lan-Partys wird aber wohl immer einzigartig bleiben. Davon zeugen allein schon die vielen Anekdoten, die Stefan und Boris zu erzählen haben. „Ich bin mal auf der Tastatur eingeschlafen und hatte dann einen Abdruck auf der Stirn“, schmunzelt Boris. „Typisch war auch, dass man sich andauernd Computer-Viren geholt hat.“ Auch Stefan hat viele Erinnerungen mitgenommen: „Früher konnte man mit den Röhrenbildschirmen noch heizen, da sie so heiß geworden sind.“

    Inzwischen hat Boris sein Notebook, inklusive Maus, Tastatur und zweitem Bildschirm, aufgebaut. „Wahnsinn, wie viel in meinen Rucksack gepasst hat“, staunt er und startet das erste Spiel. Ihm steht eine lange Nacht bevor. Das offizielle Ende der Veranstaltung ist um 9 Uhr – wohlgemerkt morgens.

    von Joshua Claaßen

    Vorheriger ArtikelVollstationäre Pflege
    und deren Alternativen
    Nächster ArtikelVorfahrt missachtet: Motorradfahrer (47) schwer verletzt