Was bedeutet TTIP für die
Menschen am Niederrhein?

NN fragen nach den Chancen und Risiken des Freihandelsabkommens zwischen USA und Europa.

NIEDERRHEIN. Diese vier Buchstaben polarisieren gewaltig: TTIP. Es ist wohl eins der meistdiskutierten Handels­abkommen und ein gewichtiges Projekt. Es soll Beschäftigungs- und Wachstums­chancen eröffnen und zur Durchsetzung hoher Standards im weltweiten Handel beitragen. Standpunkt der Bundesregierung: „Freier Handel ist gut für alle.“ Was also bringt TTIP für die Menschen am Nieder­rhein? Die NN fragen Experten nach ihrer Einschätzung.

Prof. Dr. Hasan Alkas lehrt Mikroökonomie mit dem Schwerpunkt Internationale Märkte an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Er sieht Vorteile für Unternehmen und Produzenten am Nieder­rhein: „Der Export wird schneller und preiswerter.“ Einen weiteren Vorteil erlangen deutsche mittelständische Unternehmen durch den Schutz des geistigen Eigentums: „Durch TTIP werden Innovationen besser gegen den Rest der Welt geschützt.“ Für wichtiger halte er die zweite Dimension des Abkommens, den Schulterschluss zwischen USA und EU gegen die „BRIC-Staaten“ Brasilien, Russland, Indien und China. Es sei zwar davon auszugehen, dass die europäischen Standards dann insgesamt sinken, als ökonomisches Kalkül mache dies seiner Meinung nach trotzdem Sinn, um die Spielregeln für den Weltmarkt nicht aus der Hand zu geben. Wermutstropfen für regionale Produkte: „Die werden unter stärkerem Leistungsdruck stehen als bisher“, so Alkas.

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DruckBundesministerin Barbara Hendricks: ­„Auch die SPD setzt sich kritisch mit TTIP auseinander. Klar ist, dass TTIP nicht hinter bestehende europäische Standards zurückfallen darf.“ Sie rät, die Verhandlungen auch als Chance zu verstehen: „Wenn wir jetzt nicht mit den USA verhandeln, werden andere Nationen kommen und die Regeln für den Freihandel festlegen.“ An der Rolle und Verantwortung des Verbrauchers werde sich auch durch TTIP nichts ändern. Hendricks: „Beim Verbraucherschutz in der EU gilt das Vorsorgeprinzip. Produkte dürfen nur dann verkauft werden, wenn sie unbedenklich sind und sie kein Risiko darstellen. Die TTIP-Verhandlungen werden nicht dazu führen, dass die EU ihre Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten für Lebensmittel oder Saatgut ändert.“ Das unterstreicht auch Margret Voßeler, CDU-Landtagsabgeordnete und Präsidentin des Rheinischen Landfrauenverbandes: „Diese Anforderungen wird die EU durch TTIP nicht aufgeben.“ Sie sehe das Freihandelsabkommen positiv. In Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas und drittgrößter Exporteur weltweit hänge jeder vierte Arbeitsplatz vom Export ab. „Davon profitieren kleine und mittelständische Unternehmen, die sich die bisherige Zweigleisigkeit der Märkte nicht leisten können – auch am Niederrhein“, führt sie aus. Weniger betroffen sei die regionale Landwirtschaft: „Exportiert werden in erster Linie verarbeitete Lebensmittel. Dadurch wird TTIP beispielsweise den Milchbauern hier vor Ort weniger betreffen.“

[quote_box_left]TTIP
Steht für „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“. Seit Juli 2013 laufen die Verhandlungen zwischen der EU-Kommision und den USA. In diesem Monat gehen sie in ihre zwölfte Runde.
Dem Ergebnis müssen der Europäische Rat, das Europäische Parlament und in Deutschland auch der Deutsche Bundestag sowie der Bundesrat zustimmen. Ein Abschluss wird 2016 erwartet, bislang umfassen die Verträge 6.200 Seiten.
Das Ziel ist mehr Handel. Zölle und Handelsbarrieren für Waren und Dienstleistungen sollen wegfallen. [/quote_box_left]Das sieht Franz Allofs von der Walbecker Spargelbaugenossenschaft ganz ähnlich. Seit August 2013 ist der Walbecker Spargel durch das „g.g.A.“-Siegel geografisch geschützt. Durch das Abkommen soll der europäische Schutz von Herkunftsangaben in der EU auf den amerikanischen Markt ausgedehnt werden. Allofs ist überzeugt: „Daher ist TTIP für den Walbecker Spargel kein Thema.“ Josef Peters, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Kleve, steht TTIP mit „gemischten Gefühlen“ gegenüber. Natürlich sei es eine große Chance, landwirtschaftliche Produkte auf dem Weltmarkt absetzen zu können. „Aber was ist, wenn hier Fleisch auf den Markt kommt, das mit Masthilfsstoffen produziert wurde, und der Verbraucher das dann auch noch kaufen möchte? Wie sollen unsere Landwirt da mithalten?“ Er appeliert daher an das Verantwortungsbewusstsein der Verbraucher: „Wir können den Markt nicht beeinflussen, das entscheidet der Kunde.“

Aufklärung für den Verbraucher – dieses Anliegen teilt auch Dr. Sabine Jordan aus Kalkar. Als Mitglied des Kreis Klever attac-Netzwerks gehört sie zu den TTIP-Kritikern und setzt sich differenziert mit dem Thema auseinander. „Ich bin nicht grundsätzlich gegen Handelsabkommen“, sagt sie, „aber sie müssen beiden Partnern gerecht werden und dürfen nicht nur einer Seite ein erweitertes Feld eröffnen.“ Nichts spreche gegen die Harmonisierung von Vorschriftenn – solange die Angleichung an die höheren Standards erfolge. Für TTIP rechne sie jedoch mit einer ungleichen Lastenverteilung. „Das ist doch kein offener Wettbewerb“, so Jordan weiter. Sie hält die Gefahren von TTIP in Deutschland für unterschätzt.

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