b.25 – Goldrausch

Vielleicht kann man nicht besser aus dem Sommer abtauchen: Berios Violinduette läuten den Herbst ein. Musik und Tanz als Aquarell. b.25 – ein dreigeteilter Abend, der zwischen Alltag und Hochgenuss pendelt.
Berio stellt großartige Kleinigkeiten zur Verfügung. Tanz und Tänzer fast schon kammermusikalisch. Die Musik ist es ohnehin. Ein Mobile, das zwischen Experiment und Tradition leise und schlicht seine Bahnen zieht. William Forysthes „Workwithinwork“ ist ein Kosmos der Präzision, der jede kleinste Pause mit Bedeutung auflädt. Kaum mag man Atem holen, denn die Gedanken wechseln schnell und wohnen doch in der Ruhe. Vielleicht ist die Musik manchmal zu laut. Es liegt nicht an ihr – es liegt daran, dass die Töne aus der Retorte geboren werden und jemand zu freigiebig am Volumenrad gedreht hat. Plötzlich sind die Geigen lauter als sie es in der Wirklichkeit sein können. Natürlich: Es lässt sich leben mit dieser kleinen Überzeichnung, weil das, was auf der Bühne passiert, für alles entschädigt. Ein famos auftanzendes Ensemble. Man möchte Blumen auf die Bühne werfen.
Nach dem Aquarell: Das Gemälde. César Francks Variations symphoniques für Klavier und Orchester – ein eigenartiges Erlebnis. Am Ende bohrt sich ein begeistertes Publikum im Applaus fest und man wähnt sich in der falschen Welt, möchte sich den Zuckerstaub aus Kleidern und Augen reiben. „Symphonic Variations“ riskiert nichts. Im räucherlachsfarbenen Bühnenbild, das von fern an einen Schnittmusterbogen denken lässt, fühlt man sich seltsam fremd. Der Tanz: Natürlich perfekt. Natürlichreinrassiges Ballett. Das Programmheft souffliert: „Ein Bild der Harmonie, poetischen Schönheit und frühlingshaften Stimmung eines Neubeginns schwebte Ashton mit seiner Choreographie vor, die er ganz aus der Musik entwickelte.“ Vielleicht liegt eben hier das Problem – die Falle. Vielleicht fehlt es den „Symphonic Variations“ an der Balance, die durch subtile Verteilung von Gewicht und Gegengewicht erreicht werden könnte. Vielleicht ist man in Düsseldorf auf Herausforderung gefasst, gespannt, geeicht. Die „Variations“ sind irgendwie Alltag und nur das Bühnenbild stiftet die Fragezeichen, die man eigentlich von der Inszenierung erwarten würde.
Natürlich: Gemeckert ist schnell. Aufgeladen mit Berio, wo Musik und Tanz nicht in Kumpanei enden, sondern sich gegenseitig ausloten wie ein frisch verliebtes Paar, lässt Ashton die Franckmusik einfach nur zuckersüß zurück. Kein doppelter Boden. Kein zweiter Gedanke. Harmonie als Harmonie. Einheit als Einheit. Keine Ecken, keine Kanten, aber: Ein begeistert wirkendes Publikum.
Wohl dem, der zu programmieren weiß. Ein Abend wie b.25 lässt keinen anderen Schluss zu als Hans van Manens „Two Gold Variations“. Van Manen ist kein Zuckerbäcker. Er ist einer, der sich dem Leben in den Weg stellen kann, ohne zum Bremsklotz zu werden. Die Musik von Jacob ter Veldhuis (zwei Sätze aus „Goldrush“, einem Konzert für Schlagzeug und Orchester) ist die ideale Grundierung für van Manens Welt. Er gehört zu den Choreographen, die es fertig bringen, das Gefühl zu erzeugen, das Gehörte verliere ohne seine Bilder einen Teil der Bedeutung. Das muss nicht stimmen – ist vielleicht nur so ein Gedanke, der als Bestätigung dessen auftaucht, was gehört und gesehen wird. Van Manen schafft nicht nur das Gleichgewicht zwischen Tanz und Tönen – er macht immer wieder deutlich, dass es nicht nur das Erhabene gibt und nicht nur die Tragik. Es gibt immer Gegenpositionen und in seinen Choreographien finden sie ins Bild.
Da gibt die Tragik der Komik die Hand und das Erhabene verschwindet im Alltäglichen, um gleich darauf verwandelt wieder aufzuerstehen. Van Manens Choreographien sind Gesamtkunstwerke der besonderen Art. Sie beginnen nicht in den Tönen und enden nicht in der Bewegung. Licht und Kostüme sind ebenbürtige Teile der Inszenierung. „Two Gold Variations“ ist ein ästhetisches Großereignis made by Manen. Die Musik: Ein Pendel, das auf der einen Seite zu Stücken wie Music for Mallet Instruments von Steve Reich ausschlägt und auf der anderen Seite Erinnerungen an Bernstein aufblitzen lässt, ohne dabei zur Kopie zu werden.
Am Ende bleiben von b.25 gerade die „Ecksätze“ in der Seele stecken und – ein weiteres Mal – die Gewissheit, dass in Düsseldorf eine Compagnie am Werke ist, die so ziemlich alles kann. Heiner Frost

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Weitere Aufführungen:
Oktober
Mittwoch, 14. Oktober*; Samstag, 17. Oktober*; Donnerstag, 19. Oktober*; Samstag, 31. Oktober*.
November:
Sonntag, 8. November*, Donnerstag, 12. November**, Samstag, 14. November**, Samstag, 21. November**; Freitag, 27. November**.
Dezember:
Mittwoch, 2. Dezember**; Samstag, 5. Dezember**; Samstag, 12. Dezember**, Freitag, 25. Dezember*.
*  18.30 bis 21.30 Uhr
** 19.30 bis 21.30 Uhr

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