“Steht das G für Gudrun, Gisela oder Giulietta?”

Der Autor Lutz Seiler trifft im Europäischen Übersetzer-Kollegium Straelen auf die Übersetzer seines preisgekrönten Romans „Kruso“

STRAELEN. Der Preisträger des Deutschen Buchpreises 2014 Lutz Seiler arbeitet im Rahmen der 12. Übersetzerwerksatt „Straelener Atriumsgespräch” im Übersetzer-Kollegium vier Tage lang mit 15 Übersetzern seines preisgekrönten Romans „Kruso”.

er preisgekrönte Autor Lutz Seiler und seine Übersetzer während einer ihrer Arbeitssitzungen im EÜK. NN-Foto: Marjana Križnik
Der preisgekrönte Autor Lutz Seiler und seine Übersetzer während einer ihrer Arbeitssitzungen im EÜK. NN-Foto: Marjana Križnik

„Ich will dir nicht zu nahe treten Lutz, aber steht das G für Gudrun oder Gisela?”: Lutz Seiler, der in seinem Roman “Kruso” häufig die Anfangsbuchstaben von Personennamen verwendet, muss sich erklären. Den  Literatur-Übersetzer aus Bulgarien Ljubomir Iliev beschäftigt die wichtige Frage nach dem „Initial-G”.  Denn: „Das Bulgarische verfügt über einen andere Schrift und ein anderes Alphabet. Wenn das G für Gisela oder Gudrun steht, kann ich etwa das slawische G verwenden. Steht es für Giulietta, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.” Übersetzer seien halt sehr präzise Menschen und er möchte bis zum Schluss präzise lugen aus Ilievs “Arbeits-Exemplar” des Seilerschen Romans. Der Übersetzer hat das Werk des als bedeutendster Lyriker der Gegenwart gehandelten Lutz Seiler mehrfach gelesen. Und nicht nur das: Er ist sogar mit seiner „fertigen” Jubiläums-Übersetzung – es ist seine 80. – in Straelen angereist. Nun, „beinahe” fertig. Denn während der Übersetzerwerkstatt – Iliev ist Widerholungstäter – hat der Bulgare sich vorgenommen, den Buchpreis-Träger „Löcher in den Bauch” zu fragen. Es gilt halt noch einige Dinge „abzuklären”. Kontakt mit Seiler hatte der Übersetzer von Goethes 2.000-Seiten-Wälzer „Faust” vor der übersetzt-Werkstatt nicht gehabt. „Mit Goethe habe ich ja auch nicht geskypt”, kommentiert er verschmitzt und ergänzt: „Ich habe gelernt, alleine zu recherchieren. Ich recherchiere so lange, bis die Bedingungen stimmen.” Dennoch: Die Übersetzer-Werkstatt in Straelen sei eine unschätzbare Institution. Die Amerikanerin Tess Lewis, die bereits ein Drittel des Romans übersetzt hat, treibt eine andere wichtige Frage um: „Lutz Seiler hat die Gewohnheit, Unbestimmtheiten zu verwenden, wie etwa ‚eine Art von‘ oder ‚irgend ein‘. Dies ist sehr schwer ins Englische zu übertragen. Wichtig ist für mich zu wissen: Soll dies etwas von der Hauptfigur widerspiegeln oder geht es um stilistische Dinge? Falls Lezteres der Fall sein sollte, muss ich eine andere Lösung finden.”

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ess Lewis und Ljubomir Iliev übersetzen den preisgekrönten Roman „Kruso“  von Lutz SeilerNN-Foto: Marjana Križnik
Tess Lewis und Ljubomir Iliev übersetzen den preisgekrönten Roman „Kruso“ von Lutz Seiler. NN-Foto: Marjana Križnik

Lutz Seiler zeigt sich im Gespräch mit der Redaktion überwältigt, dass so viele Übersetzer gekommen sind: „Man hat ein gutes Gefühl”, so Seiler, der sehr gerne die Man-Form verwendet. „Ich glaube, das Entscheidende bei der Übersetzung meines Romans ist es, denn Rhythmus und den Klang zu treffen, und das ist sicherlich nicht einfach.” Man müsse sich vom eigenen Text verabschieden, so der Autor. „Hier geht es darum, etwas Eigenes zu schöpfen.” “Aber selbstverständlich” antwortet Lutz Seiler voller Inbrunst, danach gefragt, ob er sich die Übersetzungen seines ersten Romans zuhause ins Bücherregal stellen wird. Wird er auch einige lesen? “Die englische und die schwedische Übersetzung werde ich bestimmt lesen”, verrät der 52-Jährige.

Lutz Seiler erläutert den Teilnehmern anschaulich die Topografie des Geschehens aus seinem Roman "Kruso"
Lutz Seiler erläutert den Teilnehmern anschaulich die Topografie des Geschehens aus seinem Roman “Kruso”

Bei der Arbeit am preisgekrönten Werk – 160 Seiten müssen täglich „abgearbeitet” werden – herrscht eine hochkonzentrierte, aber auch mitunter gelöste bis heitere Atmosphäre. Manche Übersetzer haben den Roman bereits fertig übersetzt, wie Iliev, und möchten in Straelen Details zum Inhalt oder zur Sprache klären. Für die schwedische Übersetzerin ist die Frage, ob es sich bei einem Onkel mütterlicher- oder väterlicherseits handelt von Bedeutung. Dann gilt es „DDR-Begriffe” zu klären, was ein Hausmeister einer Universität „mache” oder was sich hinter der Formulierung „stockfleckiger Kummer” verbirgt. Den Begriff „Schädel” bei der Redewendung ‚der Schädel brummt‘ könne man im Bulgarischen unmöglich verwenden. Denn dieser wird nur verwandt, wenn von sterblichen Überreste eines Menschen die Rede sei. Was bedeutet eigentlich die Formulierung „auf dem Berg über der Böschung? „Vor dieser Frage habe ich mich gefürchtet”, so Seiler. „Ich dachte, ich hätte grammatikalisch was falsch gemacht.” Die Übersetzer könnten „den Berg” auch heraus lektorieren. Im Übrigen: Genauer wäre es gewesen, so Seiler, wenn er hier den Begriff Hügel verwandt hätte. Manchmal lernen auch Autoren dazu.

Literatur-Übersetzer müssten über jedes Wort nachdenken. „Übersetzen ist das tiefste Lesen”, sagt Ljubomier Iliev und ergänzt: „Wir kommen zu Schichten, an die der Leser so nicht gedacht hat.” Wie schafft ein Übersetzer, die kunstvolle „vollkommen eigenständige poetische Sprache und sinnliche Intensität”, so die Buchpreis-Jury, in die Zielsprache zu transportieren, den „richtigen Ton” zu treffen? „Jedes Buch hat eine Stimme, man muss genau hinhören”, umreißt es die amerikanische Übersetzerin Tess Lewis. „Das Poetische dieses Romans tritt beim Lesen sofort zutage”, sagt Ljubomir Iliev.

Am Donnerstag, 3. September, findet um 19.30 Uhr eine öffenentliche Lesung mit der Möglichkeit, zu einem Einblick in die Werkstattarbeit statt.

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