Ein Waldpfad für Blinde und Sehbehinderte

BEDBURG-HAU. Norbert Fleuren trägt ein rotes T-Shirt mit weißer Schrift. Fleuren ist 28 Jahre alt. Er weiß, dass er ein  T-Shirt trägt. Er weiß, dass es rot ist, aber Rot ist nur ein Wort. Fleuren ist von Geburt an blind.

„Ich habe mal versucht, die Farben zu lernen“, sagt er und meint die Vokabeln, aber es sind irgendwie inhaltslose Vokabeln. „Wenn das Wetter schön ist und die Sonne scheint, ist der Himmel blau“, sagt Fleuren. Hätte ihm jemand gesagt, dass der Himmel blaurosa kariert ist, wenn das Wetter schön ist und die Sonne scheint – er würde von einem blaurosa karierten Himmel sprechen. Die Welt ohne Augenlicht ist für Sehende nicht nachvollziehbar. Selbst wenn man sich die Augen verbindet, bleibt immer  Vorstellung.
Fleuren ist Mitglied bei den „Blindgängern“. Die Blindgänger – das ist ein Blinden- und Sehbehindertenverein im Kreis Kleve mit Sitz in Straelen.
Kürzlich waren die Blindgänger zu Besuch in Moyland. Fleurens Eltern haben dort ein Haus und einen Wald. Eben dort haben sie in rund einjähriger Arbeit einen Waldpfad für Blinde und Sehbehinderte installiert. „Als blinder Mensch ist es schwierig bis unmöglich, einfach mal in den Wald zu gehen – erst recht, wenn man auf unbefestigten Wegen unterwegs ist.“ Wald – das ist für einen blinden Menschen die Kombination aus Hören, Fühlen und Riechen. Fleurens Waldpfad ist ein circa 1.000 Meter langer Rundkurs – man läuft auf Waldboden. Eine Art Leitplanke – bestehend aus liegenden ehemaligen hölzernen Strommasten, die jetzt auf circa 20 Zentimeter hohen Betonsockeln befestigt sind als Orientierungslinie dienen. „Ohne diese Begrenzung hätte man keinerlei Orientierung“, sagt Fleuren, „aber so kann man sich mit der Randbegrenzung auch allein auf den Weg machen. Für meine Kollegen aus dem Verein war die Möglichkeit, sich hier im Wald zu bewegen, ein tolles Erlebnis.“ Für den Ausflug ins Grüne war eigens ein Experte in Sachen Wald vor Ort. Fleuren: „Jeder blinde Teilnehmer bekam circa 25 verschiedene Baum- und Strauch-Arten zu fühlen und Norbert Nass erklärte uns dann Vieles über die Pflanzen und Bäume.“ Unter anderem haben die Fleurens auch Sequoias angepflanzt – hierzulande eher unter dam Namen Mammutbäume bekannt. Noch allerdings sind die Setzlinge kaum einen Meter hoch. „Wir haben uns scherzhaft nach unserem Spaziergang auf dem Pfad in 100 Jahren wieder hier verabredet“, sagt Fleuren.

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Die Reaktion der anderen Teilnehmer auf das Erlebnis Waldpfad  zeigte Fleuren, dass der Ausflug in jedem Fall spannend und interessant war. „Ich würde mich freuen, wenn auch andere blinde Menschen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden“, sagt er. „Daher haben sich meine Eltern und ich überlegt, dass wir einen solchen besonderen Spaziergang auf Anfrage  auch für andere möglich machen möchten. Dazu ist dann natürlich eine Anmeldung wichtig und es ist auch wichtig zu sagen, dass dazu ein gewisser Vorlauf erforderlich ist.“
Wer also als Blinder oder Sehbehinderter den Waldpfad erkunden möchte, kann sich telefonisch bei Norbert Fleuren melden. „Wir werden das dann ermöglichen – aber wie gesagt: Ein gewisser Vorlauf ist wichtig.“ Fleurens Mobilfunknummer lautet: 0170/3837006. Heiner Frost

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